BIOFACH Newsroom
Convenience 3.0 – darf Bio auch bequem sein?
Kolumne

Fertiggerichte, auch Halbfertigprodukte galten bei überzeugten Bio-Konsumenten und -Produzenten lange Zeit als „No go“. Der Fokus auf das „saubere“ Primärprodukt und die ökologische Praxis in der Landwirtschaft ist zwar wesentlich, führte aber auch zur Vernachlässigung der Sphäre des Konsums, also jener Sphäre, in der sich die Produkte bewähren müssen. Das hat sich mittlerweile jedoch deutlich geändert.
Auch Bio-Produzenten haben erkannt, dass sich die Struktur der Haushalte (z.B. ansteigende Zahl von Ein- und Zweipersonenhaushalten) und der Arbeits- und Lebensalltag vieler Menschen (der ein tägliches „From the scratch“-Kochen kaum mehr ermöglicht) deutlich verändert haben. Dies hat Convenience-Produkten Tür und Tor geöffnet. Sie bilden ein immer noch wachsendes Marktsegment, das Bio-Produzenten zu recht nicht allein konventionellen Erzeugern überlassen wollen. Auch wenn die nachhaltige Verarbeitung von Bio-Lebensmitteln zu Fertig- oder Halbfertigprodukten häufig auf regionale oder saisonale Grenzen stößt, da Ausgangsprodukte entweder nicht ausreichend oder nicht zeitgleich in nötiger Qualität (aus regionalen Quellen) verfügbar sind, hat sich das Angebot seit der Jahrtausendwende massiv erhöht. Das freut viele bio-affine Konsumenten, aber auch „sektiererische Nörgler“ und manche „Bio-Lüge“-Schreihälse, die immer ein Haar in der Bio-Suppe oder dem Bio-Gemüse-Fertiggericht finden.
Aus der Alltagslogik bio-affiner Konsumenten kann die Lösung aber nicht heißen, dass die Bio-Branche deshalb auf verarbeitete Produkte verzichtet, und die Arbeit und die Wahlproblematik wieder den Kunden zuschiebt. Vielmehr wäre ein Weg, offensiver und transparenter mit nötigen Kompromissen umzugehen und in der Lebensmittelproduktion verstärkte Forschungsanstrengungen auf die Verbesserung der sensorischen Qualität zu richten. Dazu gehört der Erhalt von Frische, Aussehen, Farbe, Textur, Geruch und Geschmack. Außerdem wichtig, die mögliche Reduktion von Fett, Salz und Zucker bei bleibendem Genusswert.
Darüber hinaus gilt es, verstärkt intelligente Verpackungen weiter zu entwickeln bzw. einzusetzen, die den Erhalt der Lebensmittelqualität an Nährstoffen und Frische aktiv unterstützen („Active Packaging“) und innovative, nachhaltige Lösungen für das Müllproblem in Angriff zu nehmen.
Zugleich aber können wir festhalten, dass Fertigprodukte nicht der einzige Weg zum bequemen Essen sind. Viele Menschen würden ihre Speisen gern selbst und frisch zubereiten, wäre der Aufwand dafür im Alltag nicht so hoch. Vor allem für Menschen, die ihre Arbeitszeit am Bildschirm verbringen, ist der sinnliche Umgang mit frischen Lebensmitteln oft ein ersehnter Ausgleich. Dafür bieten Fertigprodukte keine hinreichende Lösung. Anders die zahlreichen neuen Rezept-Shopping-Start-ups und Fresh Food Delivery Services sowie die immer smarteren Technologien und kundenfreundlicheren Grocery-Geschäftsmodelle. Diese helfen uns, Zeit und Mühe bei den „Must be“-Tätigkeiten zu sparen, um sich den „Love to“-Tätigkeiten zuzuwenden. Solche neuen Convenience-Service-Leistungen nehmen uns in Zukunft nicht das Kochen ab, sondern bieten Lösungen, es bequemer und lustvoller zu gestalten. Vor allem auch mit biologischen Ausgangsprodukten.
Über die Autorin
Hanni Rützler hat sich als Food-Trend-Forscherin mit ihrem multidisziplinären Zugang zu Fragen des Ess- und Trinkverhaltens weit über den deutschsprachigen Raum hinaus einen Namen gemacht. Als Autorin und Referentin wird sie vor allem als Vermittlerin zwischen Theorie und Praxis geschätzt. Ihr jährlich erscheinender „Food-Report“ (www.zukunftsinstitut.de/artikel/food-report-2019/) zählt zu den einflussreichsten Publikationen in der Gastro- und Lebensmittelbranche.