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True Cost Accounting als Hebel für nachhaltige Transformation der Landwirtschaft?

True Cost Accounting als Hebel für nachhaltige Transformation der Landwirtschaft? Wahre Preise Supermarkt der Technischen Hochschule Nürnberg auf der BIOFACH
Die BIOFACH hat dieses Jahr den Kongressschwerpunkt „Bio. Ernährungssouveränität. Wahre Preise.“ gesetzt. Vor den Toren des Messegeländes wird an der Technischen Hochschule Nürnberg am Standort Neumarkt unter der Leitung von Prof. Dr. Tobias Gaugler zur Thematik der wahren Preise geforscht. Die Forschenden der TH Nürnberg ermitteln dabei die wahren Preise von Lebensmitteln. Sie kalkulieren im Rahmen des neuen EU-Horizon-Forschungsprojekts FOODCoST unter anderem Preisaufschläge für Kosten durch Umweltschäden mit ein. Auf der BIOFACH 2023 geben sie Einblicke in ihre Forschung und nutzen dazu die Kulisse eines Wahre Preise Supermarkts.
Es ist Zeit, um für Transparenz in der Landwirtschaft zu sorgen
True Cost Accounting (TCA) ermöglicht es dabei aufzuzeigen, welche Schadenskosten entstehen und aktuell nicht in unseren Lebensmittelpreisen enthalten sind. Die Schadenskosten entlang der Wertschöpfungskette von Lebensmitteln werden dabei zunächst ermittelt und anschließend in einen universell verständlichen Geldwert in Euro umgerechnet. Problematisch an der aktuellen Wirtschaftsweise ist es, dass Umwelt- und soziale Folgekosten zwar anfallen, jedoch an keiner Stelle der Wertschöpfungskette integriert sind. Es liegt rein ökonomisch betrachtet also ein Marktfehler vor. Die Schadenskosten werden aktuell von der Gesamtgesellschaft (u.a. über Subventionierungen, Steuern oder steigende Wasserpreise), von künftigen Generationen und nicht zuletzt von der Umwelt selbst getragen. Der Status quo widerspricht damit dem „Polluter pays Principle“ (z.dt. „Verursacherprinzip“).
Das Instrument True Cost Accounting soll dabei helfen, diese Schäden im ersten Schritt transparent zu machen. Die bisherigen Studien von Prof. Gauglers Team, die u.a. in „Nature Communications“ veröffentlicht wurden, haben den Fokus dabei auf vier Umweltschadenskosten (so genannte „Externalitäten“), die entlang der Wertschöpfungskette von Produkten anfallen, gelegt:
- Treibhausgasemissionen (Kohlenstoffdioxid, Methan, Lachgas)
- Energieverbrauch
- Landnutzungsänderungen
- Stickstoffderivate
Dabei zeigt sich insbesondere: Tierische Produkte haben um ein Vielfaches höhere Externalitäten als pflanzliche Lebensmittel und konventionell produzierte Lebensmittel weisen in den meisten Fällen höhere Umweltschäden auf als Bio-Produkte. Diese wichtige Thematik ist nicht nur auf der BIOFACH, sondern greift inzwischen mehr und mehr Raum auch in der europäischen Forschung. Nachdem große Schritte dieser Forschung von der Universität Greifswald im Rahmen des BMBF-Forschungsprojekt „HoMaBiLe“ unternommen wurden und wissenschaftliche Kommunikation mit dem zweiten Preisschild bei PENNY (erstmals Kommunikation der „wahren Preise“ im deutschen Einzelhandel) auch für gesellschaftliches Aufsehen sorgte, arbeitet das Team der THN nun u.a. gemeinsam mit den Universitäten Oxford, Wageningen und Aarhus daran, True Cost Accounting wissenschaftlich zu standardisieren.
Zudem werden mit der Hilfe von Fallstudien in diversen Staaten innerhalb Europas die Kommunikationsmöglichkeiten solcher Forschungsergebnisse sowie die Umsetzung von TCA in der Praxis erforscht. Ziel des Projekts ist es, die erlangten wissenschaftlichen Forschungsergebnisse in Form von konkreten Handlungsempfehlungen an die Politik zu geben. True Cost Accounting soll langfristig bei politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen mitgedacht und in diese integriert werden.
Wahre Preise Supermarkt vermittelt wissenschaftliche Ergebnisse
Die BIOFACH 2023 hat den Wunsch nach mehr Klarheit und Transparenz ebenfalls wahrgenommen. Im diesjährigen Kongress werden sich Experten daher unter anderem mit Folgekosten einer nicht-ökologischen Wirtschaftsweise beschäftigen und diskutieren, ob und an welcher Stelle Schadenkosten miteingepreist werden sollten. Somit wird der Mehrwert von Bio auch preislich ersichtlich und Konsumierenden wird erleichtert, informierte und verantwortungsvolle Kaufentscheidungen zu treffen.
Der Wahre Preise Supermarkt der TH Nürnberg soll diesem Wunsch nachkommen und Wissenschaft dort vermitteln, wo Konsumierende mit Lebensmitteln üblicherweise in den Kontakt treten: im Supermarkt. Im Wahre Preise Supermarkt „Echt“ können Interessierte durch verschiedene Produktbereiche gehen und die berechneten wahren Preise der Produkte auf digitalen Preisschildern lesen. Dabei ist nicht nur festzustellen, welche Unterschiede zwischen tierischen und pflanzlichen Lebensmitteln vorhanden sind, sondern auch weshalb Bio-Produkte in den meisten Fällen die deutlich bessere Alternative darstellen. Denn nur wer wahre Kosten kennt, versteht auch den Beitrag von ökologischen Lebensmitteln. Darüber hinaus finden sich weiterführende Informationen zur Methodik des True Cost Accounting und notwendigen Transformationen in der Landwirtschaft.
Zusätzlich dazu wird unter der Leitung von Prof. Dr. Alexander Hahn in einer eigenen „Forschungsecke“ des Messestandes die Wirkung der präsentierten wahren Kosten auf Konsumierende mit der Hilfe von „digital empathy“ untersucht. Erste Forschungsergebnisse zeigen hier positive kognitive Ergebnisse durch TCA –freiwillige Testpersonen sind jederzeit erwünscht. Die Wissenschaft wird also nicht nur kommuniziert, sondern auch direkt vor Ort praktiziert.
Das Team um Prof. Gaugler freut sich über einen Besuch am Stand, über konstruktiven Austausch sowie Diskurs zu Möglichkeiten und notwendigen Rahmenbedingungen hin zu einer nachhaltigeren und resilienteren Land- und Ernährungswirtschaft. Der Stand findet sich im Kongresscentrum CCN Ost auf Ebene 2.
Wer sich gerne noch darüber hinaus mit dieser Thematik beschäftigen möchte, wird am Stand der Technischen Hochschule Nürnberg in Halle 9 Stand 565 fündig. Der Studiengang „Management in der Ökobranche“ arbeitet unter dem Motto „transdisziplinär. nachhaltig. wirtschaften“ und setzt sich dementsprechend auch mit den wahren Kosten sowie Fragen rund um ökologische Wirtschaft auseinander. Die Studiengangsleit*innen, Prof. Dr. Jan Nießen und Prof. Dr. Carolin Hauser stehen Ihnen hier für Fragen rund um die „Visionär*innen und Macher*innen von morgen“ gerne Rede und Antwort – ebenso wie Kathrina Gradl, die den Studiengang koordiniert und zahlreiche Studierende des Studiengangs.
Außerdem ist das Team der THN bei zahlreichen Kongressveranstaltungen vertreten, bei denen die Interdisziplinarität dieser hochaktuellen Thematik deutlich wird.
Weiterführende Informationen zum Thema „wahre Preise“:
Mehr Informationen zu True FOODCoST: https://leonardo-zentrum.de/projekte/true-foodcost/
https://www.foodcost-project.eu
Mehr Informationen zum Studiengang Management in der Ökobranche: https://www.th-nuernberg.de/studiengang/management-in-der-oekobranche-ba/
Fernsehsendung mit Prof. Dr. Gaugler in „Planet Wissen“ zu den wahren Kosten von Lebensmitteln: https://www.planet-wissen.de/video-was-unsere-lebensmittel-wirklich-kosten-100.html
Ergänzender Artikel mit Prof. Dr. Gaugler zum Thema Fleischersatzprodukte: https://www.augsburger-allgemeine.de/wirtschaft/fleischersatzprodukte-warum-sind-soja-schnitzel-teurer-als-schweine-schnitzel-id65292416.html