Von Allesesser bis Fleischliebhaber – Die Gegentrends zu Plant-Based Food
Vegourmets, Real Omnivores und Carneficionados. Was verbirgt sich hinter diesen Food-Trends und wie greift sie die Gastronomie auf?
Jeder erfolgreiche Trend generiert Gegentrends, die alternative Lösungen für die wahrgenommenen Probleme anbieten. Haupttreiber der großen Food-Trends sind Klimakrise, Umweltprobleme, Verlust der Biodiversität, die eigene Gesundheit und Tierwohl. Die Sorge der Menschen äußert sich im großen Trend Plant-based Food mit seinen Abstufungen Veganismus, Vegetarismus und Flexitarismus. Die von Hanni Rützler identifizierten aktuell aufkommenden Gegentrends, sind Vegourmets, Real Omnivores und Carneficionados. Was steckt hinter diesen gegenläufigen Trends und wie beeinflussen sie die Gastronomie?
In Deutschland ernähren sich insgesamt etwa zwölf Prozent der Menschen vegetarisch (9 Prozent) oder vegan (3 Prozent). Dies ergab eine repräsentative Forsa-Umfrage im Auftrag des Bundesverbands des Deutschen Lebensmittelhandels (BVLH) zum Thema pflanzenbasierte Ernährung1. Weitere 41 Prozent der Befragten bezeichneten sich bei der Umfrage als Flexitarier, schränken also ihren Fleischkonsum bewusst ein.
Die dadurch steigende Beliebtheit pflanzlicher Fleischalternativen löst aber auch Gegenbewegungen aus2. In der Forsa-Umfrage nannten 65 Prozent der Befragten einen erhöhten Anteil an Fett, Salz, Zucker oder Zusatzstoffen als einen Grund, vegane Fleischalternativen, nicht zu kaufen. Diese Skepsis teilen auch die Befürworter der Food-Trends „Vegourmets“, „Carneficionados“ und „Real Omnivores“, die Fleisch aus standardisierten, industriellen Produktionsketten sowie pflanzliche Ersatzprodukte meiden.
Ricky Saward ist nicht allein: Immer häufiger werden vegane Köche mit einem Michelin Stern ausgezeichnet. Auch die Einführung des Grünen Sterns3 durch den Gourmetführer Guide Michelin, der besonders nachhaltige Gastronomie auszeichnet, ist ein Beleg für das Umdenken in der gehobenen Gastronomie.
3 Fragen an….
Ricky Saward
Sternekoch im veganen
Gourmet-Restaurant Seven Swans
„Den fleischlastigen Endverbraucher wird es in wenigen Jahren nicht mehr geben.“
1. Warum und wann haben Sie sich entschieden vegan zu kochen?
15 Jahre Verarbeitung von tierischen Produkten waren der Auslöser zum Umdenken 2018. Wenn man reflektiert, wie viele Tiere man eigentlich verarbeitet hat in seiner Laufbahn, ist das sehr erschreckend. Vor allem denkt man in jungen Jahren gar nicht darüber nach, was man da eigentlich in den Händen hält und gerade häutet, filetiert, füllt, einlegt, brät oder anrichtet. Der Gedanke war immer derselbe: selten, luxuriös/teuer, protzig und pervers muss es sein. Ich war es satt. Ich war visuell übersättigt. Für mich aus heutiger Sicht war das nur noch Produktplacing ohne Fokus auf das eigentliche Handwerk. Dabei war doch das Handwerk der ausschlaggebende Grund, warum ich Koch werden wollte. Aus unscheinbaren Rohmaterialien etwas Großartiges erschaffen durch Skills und Techniken.
2. Was ist das Besondere an der Küche des Seven Swans?
Wir brechen quasi alle Regeln der Sternegastronomie. Unsere Gäste sitzen relativ unbequem an einem kleinen Holztisch und essen von selbstmodellierten Tellern. Wir servieren und erklären die Gänge. Es ist laut und die Gäste haben Spaß. Wir scherzen rum und trinken mal ein Glas mit. In der Küche konzentrieren wir uns immer auf ein saisonales, regionales Gemüse. Die Natur gibt uns vor, was wir anbieten. An erster Stelle steht immer die Nachhaltigkeit. Wir nehmen das Gemüse auf jegliche Art und Weise auseinander, bearbeiten die einzelnen Teile des Gemüses mit verschiedensten Techniken, um Geschmack und Konsistenzen auf ein Level zu bekommen, welches unsere Gäste nicht erwarten. Manchmal bespielen wir das Gemüse noch mit 1-2 Nuancen von Kräutern oder anderem Gemüse. Den Geschmack, den wir generieren, erzielen wir ohne Gewürze, da wir den natürlichen Geschmack nicht verändern möchten.
3. Was halten Sie von pflanzlichen Ersatzprodukten? Wie erklären Sie sich, dass diese im Supermarktregal aktuell so beliebt sind?
Ich halte nicht viel von Ersatzprodukten. Ich verstehe den Gedankengang nicht, auf diese Produkte zurückzugreifen, wenn ich mich bewusst für die gesunde, unverarbeitete Gemüsevariante entscheiden kann. Warum muss es ein veganes Schnitzel sein? Als Überbrückung für einen kurzen Zeitraum sehr gerne, aber bitte nicht als Dauerlösung. Anfang des Jahres habe ich mit Arte die Doku „Frei von... – Sind Ersatzlebensmittel die bessere Alternative?“ gedreht. Da ging es um Ersatzprodukte und ihre Inhaltsstoffe wie z. B. Carrageen.
Wir erleben gerade eine Entwicklung. Die Reduzierung oder teilweise auch Verzicht auf diverse tierische Produkte ist unvermeidlich. Wir befinden uns gerade in einem Generationenwechsel. Den fleischlastigen Endverbraucher wird es in wenigen Jahren nicht mehr geben. Man muss sich so langsam mit der Generation Anfang 20 bis Mitte 30 auseinandersetzen und den Markt anpassen. Sonst wird der Einzelhandel sehr bald auch Probleme bekommen. Ich glaube, Ersatzprodukte werden ihren Reiz und ihren Ruf verlieren. Es wird wieder interessanter werden, sich in die Küche zu stellen und kreativ zu kochen.
Quellen:
[1] Forsa (2023): Pflanzenbetonte Ernährung. Ergebnisse einer repräsentativen Bevölkerungsbefragung. www.bvlh.net/fileadmin/redaktion/downloads/pdf/2023/forsa-Umfrage_Pflanzenbetonte_Ern%C3%A4hrung.pdf
[2] Rützler, H. (2023). Food Report 2024.
[3] Le Guide MICHELIN (2023, 2. April). Was ist der Grüne MICHELIN Stern? https://guide.michelin.com/de/de/article/sustainable-gastronomy/was-ist-der-grune-michelin-stern