Humus rettet Zukunft – Chancen der regenerativen Landwirtschaft für die Bio-Branche
23.01.2024

Humus rettet Zukunft – Chancen der regenerativen Landwirtschaft für die Bio-Branche

In Zusammenhang mit der Landwirtschaft ist der regenerative Ansatz wohl eines der im Moment meist diskutierten Themen. Was steckt hinter der Bewegung? Und ist die regenerative Landwirtschaft eine echte Chance, die Lebensmittelwirtschaft zu revolutionieren? Benedikt Bösel und Julius Palm, zwei Vorreiter auf dem Gebiet der regenerativen Wirtschaft, klären auf.

Anonymer Koch erntet frisches Gemüse auf einem Bauernhof
Zunächst einmal ist der Begriff der regenerativen Landwirtschaft – auch als Agroökologie bekannt – selbsterklärend: Es geht um die Wiederherstellung von etwas Ursprünglichem. Der regenerative Ansatz hat die Renaturierung des Bodens und damit des gesamten Ökosystems im Blick, das für den Klimawandel so wichtig ist. Genauer betrachtet zielt die Landwirtschaftsform darauf ab, mehr Humus aufzubauen, der in Europa inzwischen auf ein bis zwei Prozent geschrumpft1, aber für die Bindung von CO2 essentiell ist.
Benedikt Bösel, Gründer und Geschäftsführer von Gut und Bösel Benedikt Bösel, Gründer und Geschäftsführer von Gut und Bösel

Der Bio-Landwirt Benedikt Bösel ist mit seinem Hof Gut und Bösel in Brandenburg ein Vorzeigebetrieb in Sachen regeneratives Landwirtschaften. Er ist einer der Ersten in Deutschland, der seine mittlerweile 3.000 Hektar auf regenerative Land- und Waldwirtschaft umgestellt hat. Im Frühjahr 2018, zwei Jahre nach der Hofübernahme von den Eltern, gab es einen ganz konkreten Auslöser dafür: “Die Frühjahrstrockenheit war so extrem. Auf den Feldern war alles gelb und braun. Kein Insekt ist geflogen, obwohl der Frühling eigentlich die wichtigste vegetative Phase ist. Da wurde mir klar, dass ich meine Investitionen nicht nur in Technik und Innovationen stecken muss, sondern in den Boden und das Ökosystem“, schildert Bösel.

Damals stand der Agrarökonom noch weitgehend alleine da. Als er Bäume auf dem Acker pflanzte und Pflanzen sowie Tiere auch noch mit dazu stellte, fragten sich die Leute, was daran so innovativ sein solle. Heute hat sich das Konzept bewährt: Ganzjährig grasen 200 Rinder auf den Feldern, um den Boden zu düngen, nachhaltig zu regenerieren und die Biodiversität zu fördern.

Bösel kombiniert Agroforst mit Ackerbau und Tierhaltung mit dem Ziel mehrere Ernten auf der gleichen Fläche im selben Jahr zu kombinieren. So werden Felder von Baumreihen unterbrochen und sind von Blühstreifen umgeben. Auch Fruchtfolgen und Mischkulturen spielen bei der regenerativen Landwirtschaft eine wesentliche Rolle, damit der Boden ganzjährig bedeckt und der Nährstoffgehalt im Boden möglichst ausgewogen bleibt.

Inzwischen ist die regenerative Landwirtschaft ein vielversprechender Ansatz, um Natur und Bewirtschaftung wieder in Einklang zu bringen. Und setzt damit genau am Bio-Gedanken an, der den Erhalt von Umweltschutz und Ressourcenschutz als essentiell betrachtet. Biodiversität, Bodenschutz und Wasserschutz sind Grundsätze einer biologischen und nachhaltigen Wirtschaftsweise. Aber es ist auch wichtig, dass die bereits entstandenen Schäden an der Natur wieder behoben werden. Die Bewegung der regenerativen Landwirtschaft schafft dafür noch mehr Aufmerksamkeit.

Julius Palm, stellvertretender Geschäftsführer followfood Julius Palm, stellvertretender Geschäftsführer followfood

Unterstützt wird Bösel in seiner Arbeit u.a. von followfood. Gemeinsam wollen sie zeigen, dass regenerative Landwirtschaft skalierbar ist. 2019 gründete das Lebensmittelunternehmen followfood den Bodenretterfonds, der Landwirte bei Investitionen in Richtung regenerative Landwirtschaft unterstützt. „Wir zweigen ein Prozent unseres Umsatzes ab und investieren es in landwirtschaftliche Betriebe, die über Bio hinausdenken und zusätzlich regenerativ arbeiten wollen“, erläutert Julius Palm, stellvertretender Geschäftsführer bei followfood. 2023 konnten so die ersten Produkte aus regenerativen Systemen auf den Markt gebracht werden.

Da regenerative Bewirtschaftung im Vergleich zu Bio den Einsatz chemisch-synthetischer Pflanzenschutzmittel oder chemischer Dünger nicht verbietet, ist dieser Ansatz im Allgemeinen auch für konventionelle Betriebe möglich. Dabei kann regeneratives Wirtschaften für die konventionellen Betriebe eine Motivation sein, nachhaltiger zu wirtschaften und dann im besten Fall sogar dazu führen, dass sie auf eine ökologischen Wirtschaftsweise mit regenerativen Zielen umstellen.

Auch Bösel sieht darin eine Chance für die Bio-Branche, die Grundsätze der Bio-Landwirtschaft wieder mehr in den Vordergrund zu stellen: „Durch den regenerativen Ansatz entsteht ein anderer, zusätzlicher Zugang zur nachhaltigen Landwirtschaft. Wir können mehr Menschen für eine naturnahe und ökologische Wirtschaftsweise begeistern, damit das Bewusstsein und den Markt noch größer werden lassen. Ich glaube, es geht weniger um die Begrifflichkeit an sich, sondern mehr darum die inhaltliche Herausforderung, anzunehmen und herauszufinden, wo die Gemeinsamkeiten von Bio und Regenerativ liegen und wie wir die bestmöglichen Potentiale nutzen können“, erklärt Benedikt Bösel. Auch Palm betont: „Für mich ist Bio der Mindeststandard. Aber oft denkt Bio noch in den gleichen Strukturen. Denn wir schaffen es noch nicht, ausreichend Bodenerosion zu verhindern, Wasser auf den Flächen zu halten und Bodenfruchtbarkeit aufzubauen. Hier baut regenerative Landwirtschaft auf, indem sie versucht, natürliche Ökosysteme so gut wie möglich zu imitieren.“

Die Präsenz des Themas zeigt, dass das Bedürfnis nach einem besseren Verständnis der Zusammenhänge von Boden und dem gesamten System der Land- und Ernährungswirtschaft groß ist.

Den Schaden an der Umwelt sichtbar machen – Für das globale Ernährungssystem, das für gut ein Drittel aller Treibhausgase verantwortlich ist und damit einer der größten Treiber des Klimawandels2, ist die regenerative Landwirtschaft als Ergänzung zur biologischen Landwirtschaft, ein echter Hebel für die Transformation.

„Ziel muss es jedenfalls sein, das große Ganze zu sehen. Es reicht nicht, den Kohlenstoffausstoß irgendwie auszugleichen: also wenn sich eine Firma klimaneutral nennt, aber Schaden an der Biodiversität anrichtet. Denn die einzige verlässliche Versicherung für die Zukunft ist ein gesunder Boden und ein intaktes Ökosystem“, ist sich Bösel sicher.

Benedikt Bösel, Gründer und Geschäftsführer von Gut und Bösel

3 Fragen an … 

Benedikt Bösel
Agrarökonom, Gründer und Geschäftsführer von Gut und Bösel

 

„Die einzige verlässliche Versicherung für die Zukunft ist ein gesunder Boden und ein gesundes, intaktes Ökosystem.“

1. Wenn es um regenerative Landwirtschaft in Deutschland geht, fällt oft Ihr Name. Sie forschen und arbeiten seit rund fünf Jahren zu und mit diesem Thema. Was hat sich bis heute verändert und ist der Weg immer noch der richtige?

Als ich damals angefangen hab, hat das eigentlich erst mal noch keiner so richtig verstanden. Also weder die Unis noch Wirtschaftler und Forschungsinstitute. Die haben damals gesagt: Naja, Bäume auf dem Acker, Pflanzen und Tiere noch mit dazu - was soll daran so innovativ sein? Aber ich war und bin von diesem Weg absolut überzeugt. Denn die einzige verlässliche Versicherung für die Zukunft ist ein gesunder Boden und ein gesundes, intaktes Ökosystem.

Also habe ich damals mein Auto und Aktien verkauft, habe angefangen Bäume zu pflanzen und Kühe zu kaufen – mit der Hoffnung, dass Menschen verstehen, was wir machen. Das hat eine ganze Weile gedauert, bis das Gefühl in den Menschen gewachsen ist, dass die Landwirtschaft in den großen Krisen unserer Zeit auch eine große Bedeutung hat. Und wenn man das mitdenkt, dann wird sehr schnell klar, dass wir nicht nur auf Ertrag pro Flächengröße pro Jahr schauen können, sondern vollumfänglich über die Auswirkungen unserer Nutzung nachdenken müssen. Und dass wir uns eben nicht leisten können, ökologische und soziale Folgekosten der Produktion zu ignorieren. Diversifizierung und Anpassungsfähigkeit sind wichtig, um auf die klimatischen Veränderungen zu reagieren und damit auch ökonomisch sicher und unabhängiger zu sein.

2. Glauben Sie, dass sich das Konzept der regenerativen Wirtschaft bzw. regenerativen Landwirtschaft auf die gesamte Lebensmittel-Branche umschlagen lässt? Und was braucht es dafür noch?

Ich glaube, wir haben gar keine andere Wahl, als die gesamte Wertschöpfungskette dahingehend zu transformieren. Es muss unser aller Ziel sein: für jede Wirtschaftsform, für jedes Produkt, für jeden Service. Alles, was wir als Individuum oder Gesellschaft machen, muss immer so in das Ökosystem eingebettet sein, dass daraus Werte geschaffen werden. Werte in Bezug auf das Ökosystem, auf die Gesellschaft und im Grunde genommen auf all das, was unsere Basis des Lebens sicherstellt. Ein Beispiel: Wenn ein Unternehmen lediglich den Kohlenstoffausstoß ausgleicht und sich deshalb als klimaneutral bezeichnen kann, dabei trotzdem noch großen Schaden bei der Biodiversität anrichtet, dann reicht das natürlich nicht! Man muss vollumfänglich die Auswirkungen der eigenen Leistung im ökonomischen und gesellschaftlichen Kontext ausgleichen, wenn nicht sogar verbessern. Dazu müssen wir aber den Blick über die Landwirtschaft hinaus richten: In die Bildung, in die Wissenschaft, Technologieentwicklung, Zugang zu Land, die Frage wie der Kapitalmarkt an der Transformation Anteil nehmen kann und natürlich ganz vorne mit dabei auch die politischen Weichenstellungen, die darauf einen großen Einfluss haben können. Das True Cost Accounting kann da ein großer Hebel sein.

3. Ganz konkret: Welche Chancen bietet die regenerative Landwirtschaft für die Bio-Branche?

Im Grunde genommen sind die Prinzipien der ökologischen Landwirtschaft denen der regenerativen sehr, sehr ähnlich. Aus meiner Sicht versucht die regenerative Landwirtschaft nochmal ganzheitlicher über die Ökosysteme nachzudenken. Eine echte Definition gibt es dafür aber noch nicht.

Es hat Vorteile, weil Landwirte aus allen Systemen über die Potenziale und Methoden nachdenken, sich austauschen und anwenden können. Wer ernsthaft regenerative Landwirtschaft betreibt, wird langfristig auch ökologisch wirtschaften. Es hat aber natürlich auch Nachteile, weil jeder das (aus-)nutzen kann, ohne damit wirklich etwas zu machen. Wenn ich jetzt einfach ein neues Wort für etwas benutze, was ich eh immer gemacht habe, birgt das natürlich auch große Gefahr. Das kann vor allem bei Konsumenten zu einem großen Vertrauensverlust führen.

Aber: Ich kann mir vorstellen, dass so mancher Konsument, der Bio noch nicht so wahrgenommen oder sogar einen negativen Blick darauf hat, über den eher selbsterklärenden Begriff „Regenerativ“ sich dafür auf einmal begeistern kann und sich am Ende für die dahintersteckenden ökologischen Produkte entscheidet.

Es geht um Lebensmittel, um Leben, um Tiere und Menschen. Und dann wird es immer emotional. Ich würde mir wünschen, dass wir in Zukunft versuchen, weniger über Ideologie, Definition und Gräben zu sprechen, sondern mehr über Inhalte und schauen, wo wir Gemeinsamkeiten haben und wie wir uns unterstützen können.

Quellen:

[1] Steffens, G. & Göring, M. (2023). Eat it! Die Menschheit ernähren und dabei die Welt retten (1. Aufl.). Penguin Verlag.

[2] IPCC. (2019). Climate Change and Land: an IPCC special report on climate change, desertification, land degradation, sustainable land management, food security, and greenhouse gas fluxes in terrestrial ecosystems. [P.R. Shukla, J. Skea, E. Calvo Buendia, V. Masson-Delmotte, H.-O. Pörtner, D. C. Roberts, P. Zhai, R. Slade, S. Connors, R. van Diemen, M. Ferrat, E. Haughey, S. Luz, S. Neogi, M. Pathak, J. Petzold, J. Portugal Pereira, P. Vyas, E. Huntley, K. Kissick, M. Belkacemi, J. Malley, (eds.)]. www.ipcc.ch/srccl/ 

Autor

Annette Bachert

Annette Bachert

Senior PR-Beraterin | modem conclusa gmbh