• 18.07.2025

Von Shampoo bis Superfood: Wie dm & Co. bei Bio-Lebensmitteln aufholen

Drogeriemärkte wie dm, Rossmann und Müller mischen den Bio-Lebensmittelmarkt auf – mit günstigen Eigenmarken, Lifestyle-Anspruch und wachsendem Sortiment. Was bedeutet das für Supermärkte, den Fachhandel und die Zukunft des Bio-Einkaufs? Ein Blick auf Chancen, Herausforderungen und neue Spielregeln im Wettbewerb.

Geschrieben von Manuela Jagdhuber

Viele Menschen sitzen im Kreis und tauschen sich im Rahmen des Sustainable Future Lab auf der BIOFACH zu dem Thema Bio und Handel aus.

Drogeriemärkte gewinnen als Anbieter von Lebensmitteln zunehmend an Bedeutung – insbesondere im Bio-Segment. Bio-Produkte passen nicht nur ideal zu ihrem gesundheits- und werteorientierten Profil, sondern erfüllen zugleich den Wunsch vieler Verbraucherinnen und Verbraucher nach einem unkomplizierten Einkauf verschiedener Alltagsprodukte an einem Ort. Aber was bedeutet der Bio-Boom in der Drogerie für Supermärkte und Fachhändler?

Laut einer aktuellen Verbraucherstudie des Marktforschungsinstituts Mafowerk besuchen 42 Prozent der Kunden Drogeriemärkte gezielt wegen des Lebensmittelangebots. Vor allem bei jungen Käufern bis 39 Jahren gehört der Lebensmitteleinkauf in der Drogerie längst zum Alltag. Besonders gefragt sind Tee, Müsliriegel und Snacks – ökologisch produziert, modern verpackt und zum attraktiven Preis. Eine Entwicklung, die neue Chancen eröffnet – aber auch neue Wettbewerbsfragen für Supermärkte und den Bio-Fachhandel aufwirft.

Drogeriemärkte profitieren generell von einem geschickten Sortimentsmix: Bio-Produkte werden nicht isoliert angeboten, sondern eingebettet in ein Lifestyle-orientiertes Shopping-Erlebnis. Die Kundschaft schätzt die einfache Zugänglichkeit, das gute Preis-Leistungs-Verhältnis – und den Mehrwert, exklusive Produkte und Neuheiten zu erhalten, die es im klassischen Supermarkt oder Fachhandel oft nicht gibt. Auch Handelsforscher Prof. Dr. Stephan Rüschen beobachtet die Entwicklung genau: „Die größten Wachstumsraten haben tatsächlich die Drogeriemärkte mit Bio-Artikeln“, betont er. In der Marktforschung würden sie bislang oft unterschätzt – „weil sie in der Regel keine gekühlten, tiefgekühlten oder frischen Produkte in der Bedienung haben.“ Dennoch entziehen sie dem Lebensmitteleinzelhandel spürbar Marktanteile.

Ein Paradebeispiel für die erfolgreiche Etablierung von Lebensmitteln im Drogeriemarktsegment ist dm. Mit der Eigenmarke dm Bio hat sich die umsatzstärkste Drogeriemarktkette in Deutschland strategisch positioniert und ein Bio-Sortiment mit über 700 Artikeln aufgebaut. „Wir haben eine Grundsatzentscheidung getroffen, dass die Lebensmittel, die wir verkaufen, möglichst immer bio sind“, erklärt Kerstin Erbe, Geschäftsführerin von dm-Drogerie Markt auf der BIOFACH 2025.Der Bioanteil in dm-Märkten liegt inzwischen tatsächlich bei rund 95 Prozent. Ziel sei es, Bio-Produkte nicht nur einem Nischenpublikum zugänglich zu machen, sondern in der Mitte der Gesellschaft zu verankern. „Wir wollen möglichst viele Menschen mit unseren Produkten begeistern – dann greifen sie gerne immer wieder zu Bio“, so Erbe.

Eine Frau sitzt in einem Stuhlkreis und spricht in ein Mikrofon, während drum herum Menschen sitzen und zuhören

Und wie nutzt dm das Potenzial in Zukunft? „Gesunde Ernährung, natürliche Schönheit und ein verantwortungsvoller Umgang mit Ressourcen – das sind die Themen, die unser Sortiment der Zukunft prägen werden. Unsere Kundinnen und Kunden erwarten von uns, dass wir nicht nur gute Produkte bieten, sondern auch Orientierung. Und dieser Verantwortung stellen wir uns“, betont Erbe.

 

Ernährungsstile beeinflussen Wahl der Einkaufsstätte

Neben attraktiven Preisen und einer klaren Sortimentsstruktur ist ein weiterer Grund für den Erfolg der Drogeriemärkte, dass sie den Nerv eines veränderten Konsumverhaltens treffen. Die individuelle Ernährungsweise beeinflusst heute maßgeblich die Wahl der Einkaufsstätte. Wer sich gesund, pflanzlich oder nachhaltig ernährt, sucht gezielt nach Sortimenten, die diese Ansprüche erfüllen – und findet sie zunehmend in Drogerien. So gehen Vegetarier deutlich häufiger mit dem primären Ziel, Lebensmittel zu kaufen (58 Prozent), in Drogeriemärkte als Flexitarier (42,9 Prozent).

 

Begrenztes Angebot – kühlpflichtige Lebensmittel?

Obwohl Drogeriemärkte vereinzelt Kühlschränke einsetzen, sind diese meist für Getränke reserviert. Bei frischen Lebensmitteln mit kurzer Haltbarkeit besteht hingegen noch deutlicher Nachholbedarf. Rüschen sieht hier physische Grenzen: „Wenn Drogeriemärkte relevant etwas vom Food-Wettbewerb wegnehmen wollen, müssen sie Flächen dafür schaffen – und die Läden sind nicht so groß.“ Die typische Verkaufsfläche liege bei 500 bis 600 Quadratmetern. Ein flächendeckender Ausbau sei nur mit neuen, größeren Standorten möglich – „das dauert sehr, sehr lange.“

 

Wettbewerbsdruck für den klassischen Lebensmitteleinzelhandel (LEH) und den selbstständigen Einzelhandel (SEH)

Die zunehmende Präsenz von Bio-Lebensmitteln in Drogeriemärkten erhöht den Wettbewerbsdruck auf den LEH und SEH – zusätzlich zur starken Konkurrenz durch Discounter. Drogerien wie dm, Rossmann oder Müller positionieren sich zunehmend als Anbieter nachhaltiger Produkte und sprechen damit gezielt gesundheits- und preisbewusste Konsumentinnen und Konsumenten an. Besonders im margenstarken Trockensortiment – etwa bei Müslis, Snacks, Pflanzendrinks oder aber auch Naturkosmetik – entstehen dadurch neue Konkurrenzverhältnisse.

Für den LEH und SEH bedeutet das: Bio-affine Kundinnen und Kunden kaufen längst nicht mehr ausschließlich bei Rewe, Edeka & Co. Vor allem der SEH steht unter Druck: Als Nahversorger mit kleinerer Fläche und begrenzten Ressourcen muss er sich gegen das wachsende Angebot im Drogeriemarkt behaupten. Gefragt sind im gesamten Lebensmitteleinzelhandel klare Sortimentsstrategien: mehr Sichtbarkeit für Nachhaltigkeitsthemen am Point of Sale sowie eine glaubwürdige Positionierung über regionale Herkunft, persönliche Ansprache und Spezialsortimente wie vegane oder gluenfreie Produkte. Wer dabei profillos bleibt, riskiert, besonders bei einer jungen, werteorientierten Kundschaft an Relevanz zu verlieren. Gerade der selbstständige Einzelhandel hat hier die Chance, mit klarem Profil, regionaler Verwurzelung und persönlicher Nähe genau diese Zielgruppe authentisch zu erreichen – und sich gezielt vom uniformen Angebot der Drogeriemärkte und Discounter abzuheben.

Eine Frau sitzt in einem Stuhlkreis und spricht in ein Mikrofon, während drum herum Menschen sitzen und zuhören

Profil zeigen im Bio-Fachhandel

Für den inhabergeführten Bio-Fachhandel sowie für den filialisierten Bio-Fachhandel wie Alnatura, Denn´s etc. bedeutet der Bio-Erfolg der Drogeriemärkte eine doppelte Herausforderung: Er konkurriert nicht nur um Kundinnen und Kunden, sondern kämpft auch dafür, die Werte und Überzeugungen hinter Bio zu vermitteln und zu erhalten. „Grundsätzlich ist es positiv, dass mehr Menschen Zugang zu Bio-Produkten haben – unabhängig von Einkommen, Wohnort oder Bildungsstand“, sagt Kathrin Jäckel, Geschäftsführerin des Bundesverbands Naturkost Naturwaren (BNN). Dass Bio inzwischen auch in Drogerien selbstverständlich ist, sei „auch dem langjährigen Engagement des Fachhandels zu verdanken“.

Doch gerade bei stark standardisierten, haltbaren Produkten wie Snacks, Cerealien oder Babynahrung geraten Fachhändlerinnen und Fachhändler unter Druck: Drogeriemärkte setzen hier über große Einkaufsvolumen und aggressive Preispolitik Maßstäbe, mit denen kleinere Anbieter kaum mithalten können. Besonders niedrig angesetzte Preise großer Handelsketten sorgen dafür, dass viele Kundinnen und Kunden Bio vorrangig mit günstigen Angeboten verbinden – deshalb ziehen viele Kundinnen und Kunden die Bio-Produkte aus dem Drogeriemarkt mit ihrem guten Preis-Leistungs-Verhältnis den Markenprodukten im Bio-Fachhandel vor. 
Der Fachhandel kann und sollte sich deshalb über andere Stärken profilieren: Frische, handwerkliche Verarbeitung, enge Beziehungen zu Bio-Höfen, qualifizierte Beratung und ein durchgängig wertebasiertes Sortiment. Diese Aspekte lassen sich nicht beliebig kopieren – müssen aber deutlich sichtbarer kommuniziert werden. Auch die Nähe zu Verbänden wie Naturland und Demeter kann als Vertrauenssignal eine wichtige Rolle spielen.
Auch bei der Preiswahrnehmung braucht es Aufklärung, so Jäckel: „Bio wirkt manchmal teurer, weil konventionelle Produkte ihre wahren Kosten nicht ausweisen.“ Die Zukunftschancen des Fachhandels sieht sie dennoch klar – wenn er selbstbewusst für das steht, was ihn ausmacht: „Die Generationen Y und Z wollen echte Werte, glaubwürdige Konzepte, emotionale Verbindung. Frische, Regionalität und Transparenz sind deshalb keine nostalgischen Werte, sondern Zukunftsthemen.“

 

Was bleibt: Chancen, Druck und die Frage nach dem Profil

Drogeriemärkte sind längst mehr als Ergänzung – sie sind fester Bestandteil des Bio-Lebensmittelmarkts. Mit günstigen Eigenmarken, hohem Gesundheitsbezug und einem klaren Nachhaltigkeitsanspruch treffen sie den Nerv der Zeit – und verschieben Marktanteile.

Für den klassischen LEH und den SEH bedeutet das: stärker differenzieren, Nachhaltigkeit strategisch verankern, regionale Strukturen nutzen. Für den Bio-Fachhandel heißt es: eigene Kernkompetenzen sichtbar machen, Beratung und Frische stärken und Bio als Haltung erlebbar machen.

Denn wer in diesem dynamischen Umfeld bestehen will, muss mehr bieten als ein Bio-Label – er braucht ein erkennbares Profil und den Mut, dafür einzustehen.

Autor

Porträt von Manuela Jagdhuber
Manuela Jagdhuber
Senior PR-consultant | modem conclusa gmbh