Außer-Haus-Verpflegung
15.12.2023

Außer-Haus-Verpflegung

Bio-Revolution in der Kantine: Europas Schritte zu einer nachhaltigen Esskultur

Gemüsesalate in einem handelsüblichen Kältemittel

Wer früh am Morgen von Garmisch-Partenkirchen durch die Partnachklamm zur Reintalangerhütte unterhalb der Zugspitze aufbricht, den erwarten auf der ca. sechsstündigen Tour magische Nebelschwaden über dem glasklaren Bergbach entlang des Wanderwegs und am Ziel auf 1.369 Metern Höhe die erste Bioland-zertifizierte Alpenvereinshütte. „Ich bin überzeugt, dass der ökologische Landbau die nachhaltigste Form der Landbewirtschaftung ist. Diese Qualität wollte ich einfach auch unseren Gästen anbieten“, begründet Hüttenpächter Andy Kiechle die Entscheidung, die mit großen logistischen Herausforderungen einhergeht – aber auch richtig gewesen zu sein scheint: „Die Gäste sind positiv überrascht bis begeistert von unserem Konzept“. Nach dem auf nochmal fast 500 Meter höher gelegenen Prinz Luitpold Haus im Allgäu, wo man bereits im Sommer 2021 den konsequenten Weg zu einer reinen Bio-Küche eingeschlagen hatte, ist die Reintalangerhütte die zweite biozertifizierte Hütte des Deutschen Alpenvereins (DAV). Die beiden extremen Beispiele aus der Individualgastronomie zeigen, was in puncto Bio-Außer-Haus-Verpflegung (Bio-AHV) möglich ist, wenn man will.

Das scheinen auch die Verantwortlichen in der Politik erkannt zu haben – die einen früher, die anderen später. Denn in ganz Europa wurden in den vergangenen Jahren verschiedenste Initiativen, Förderprogramme und Gesetzgebungsverfahren gestartet, um den Anteil von Bio-Lebensmitteln oder saisonalen und regionalen Zutaten in der Außer-Haus-Verpflegung zu erhöhen. Neben dem zunehmenden Qualitätsbewusstsein der Verbraucher, hat die Entscheidung für mehr Bio-Lebensmittel nämlich auch gesundheitliche und ökologische Vorteile, die sich positiv auf den Einzelnen und die Gesellschaft als Ganzes auswirken. Das Potential und der Hebel der Außer-Haus-Verpflegung sind nämlich enorm: Alleine in Deutschland nehmen Schätzungen zufolge täglich mehr als 16 Millionen Menschen Mahlzeiten in der Gemeinschaftsverpflegung1 ein  – also zum Beispiel in Schulen, Betriebskantinen, Krankenhäusern oder Justizvollzugsanstalten. Hinzu kommen die zahlreichen täglich ausgegebenen Gerichte der System- und Individualgastronomie. 

Bio-Siegel für Außer-Haus-Verpflegung in Deutschland

In Deutschland stellt die Förderung der Bio-Landwirtschaft einen zentralen Baustein der Regierungspolitik dar, um eine zukunftsfähige Agrarwirtschaft aufzubauen, die den negativen Impact auf Klima und Biodiversität möglichst gering und die Tierwohl-Standards möglichst hochhält. Im Koalitionsvertrag haben die Regierungsparteien deshalb das Ziel vereinbart, den Anteil der ökologischen Anbaufläche bis 2030 auf 30 Prozent der gesamten landwirtschaftlichen Fläche in Deutschland auszuweiten.

Unter anderem um dafür Anreize zu schaffen, hat der Deutsche Bundestag und anschließend auch das Bundeskabinett im Sommer 2023 den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Öko-Landbaugesetzes und des Öko-Kennzeichengesetzes gebilligt. Die darauf aufbauende Bio-Außer-Haus-Verpflegung-Verordnung (Bio-AHVV)2 ist Anfang Oktober 2023 in Kraft getreten und macht den Weg frei für mehr Bio in der Außer-Haus-Verpflegung. Eine der wichtigsten Maßnahmen ist die Einführung eines Bio-Siegels, mit dem die Bundesregierung plant, den Anteil ökologisch hergestellter Lebensmittel in Kantinen, Mensen und Restaurants zu erhöhen. Vorgesehen sind die Stufen Gold (90-100 Prozent Bio), Silber (50-89 Prozent Bio) und Bronze (20-49 Prozent Bio). Die Anbieter sollen damit ihren Einsatz für eine nachhaltige Verpflegung freiwillig kennzeichnen und so für sich werben können. Das System wird im gesamten Bereich der Außer-Haus-Verpflegung Anwendung finden. Damit hätten auch Schulen, Alten- und Pflegeheime sowie Behörden die Möglichkeit, anhand von Siegeln aufzuzeigen, wie hoch der Bio-Anteil im Angebot ausfällt.

„Die Gemeinschaftsverpflegung hat ein Riesenpotential, Jung und Alt mit gesundem, nahrhaftem und nachhaltigem Essen zu versorgen. Kantinen, Mensen und Co. können mit dem Bio-Label ihren Einsatz für eine nachhaltige Verpflegung freiwillig, einfach und überprüfbar kennzeichnen und so für sich werben“, so Bundesernährungsminister Cem Özdemir. Aus diesem Grund stellt sein Ministerium auch über das Bundesprogramm Ökologischer Landbau Förderungen für Unternehmen der Außer-Haus-Verpflegung bereit, die Bio-Lebensmittel neu in ihre Speiseangebote aufnehmen oder ihre Bio-Angebote erweitern wollen. Förderfähig sind die Beratung selbst sowie die mit der Umstellung oder Erweiterung verbundenen Mitarbeiterschulungen.3 In der Praxis soll das dazu führen, dass Betriebsrestaurants, Kantinen, Schulspeisungen sowie Restaurants und Catering-Dienste zunehmend auf Bio-Produkte setzen und sich entsprechend zertifizieren lassen.

Auch auf Bundesländerebene werden entsprechende Impulse gesetzt: So versucht zum Beispiel das nordrhein-westfälische Ministerium für Landwirtschaft und Verbraucherschutz den Anteil des Ökolandbaus in Deutschlands bevölkerungsreichsten Bundesland durch mehr Bio-Lebensmittel in der Außer-Haus-Verpflegung zu erhöhen. Kern ist die Initiative „NRW kocht mit Bio“, bei der in fünf Öko-Modellregionen Beratungs- und Coaching-Angebote für Unternehmen erprobt werden, die erstmalig Bio-Lebensmittel in ihren Küchen einsetzen wollen. Zudem sollen Informationsveranstaltungen die Vernetzung der Akteure auf dem Markt der Außer-Haus-Verpflegung nach Öko-Maßstäben stärken. „Wir wollen hiermit dazu beitragen, dass häufiger in Kantinen, Restaurants oder in der Schulverpflegung heimische Bio-Lebensmittel im Kochtopf landen“, begründete der nordrhein-westfälische Staatssekretär Dr. Martin Berges im Rahmen der Auszeichnung von drei Bio-Leuchtturmprojekten im Mai 2023 sein Engagement für die Initiative.4

Dänemark setzt Standards in der Außer-Haus-Verpflegung

Dänemark nimmt eine Vorreiterrolle in der Integration von Bio-Lebensmitteln in der Außer-Haus-Verpflegung ein. Bereits 2012/2013 initiierten die Skandinavier den Bio-Aktionsplan 2020, der sich darauf konzentrierte, den Anteil an Bio-Lebensmitteln in öffentlichen Küchen zu erhöhen. Eine Studie, die die Wirksamkeit dieses Plans bewertete, berichtete über eine signifikante Steigerung des Bio-Lebensmittelanteils in den teilnehmenden öffentlichen Küchen. Im Durchschnitt stieg der Anteil an Bio-Lebensmitteln während der Umstellungsprojekte um 24 Prozentpunkte. Darüber hinaus verdoppelte sich der Anteil der öffentlichen Küchen, die für das Bio-Küchen-Label in Silber (60-90% Bio-Lebensmittelbeschaffung) oder Gold (90-100% Bio-Lebensmittelbeschaffung) qualifiziert waren, von 31% auf 62%.5 Die Umstellung auf Bio-Lebensmittel beeinflusste auch die Zusammensetzung der in öffentlichen Küchen servierten Mahlzeiten positiv. Hierbei wurde eine erhöhte Verwendung von Hülsenfrüchten, Obst und Gemüse sowie eine reduzierte Verwendung von Fleisch und Fleischprodukten festgestellt. Zusätzlich zeigt die Studie auch reduzierte Lebensmittelabfälle und eine erhöhte Verwendung von saisonalen und lokalen Lebensmitteln.

 

Europa-Trend: Mehr Bio in der Außer-Haus-Verpflegung

Die strategische Bedeutung des ökologischen Landbaus wurde in Italien bereits vor rund 20 Jahren erkannt und mündete im Nationalen Aktionsplan für ökologische Lebensmittel und ökologischen Landbau (PAN-ABPB) zur Förderung und Verbreitung ökologischer Produkte im In- und Ausland. Darauf aufbauend hat das italienische Parlament im Jahr 2022 ein neues Gesetz verabschiedet, auf Basis dessen im Rahmen einer nationalen Strategie zur Förderung der ökologischen Erzeugung im gesamten Agrarsektor unter anderem ein Bio-Siegel „Made in Italy“ eingeführt wurde. Bereits im Jahr 2020 wurde zudem ein Fonds in Höhe von 5 Millionen Euro für ökologische Schulkantinen aufgesetzt. Er soll es den teilnehmenden Regionen ermöglichen, in ausgewählten Schulen Bio-Mahlzeiten ohne Mehrkosten für die Eltern bereitzustellen und Informations- und Werbemaßnahmen für eine gesunde Ernährung durchzuführen.6 Alleine in der Projektregion Emilia-Romagna konnten so im Jahr 2022 8,8 Millionen Bio-Mahlzeiten an Schülerinnen und Schüler ausgegeben werden.7 „Die bereitgestellten finanziellen Mittel helfen dabei, die Qualität der Schulverpflegung zu verbessern ohne die Familien übermäßig zu belasten – aber vor allem helfen sie, um ein größeres Bewusstsein für gesunde Lebensmittel zu fördern“, erklärt der zuständige Regionalrat für Landwirtschaft Alessio Mammi.

Auch in Frankreich wurde bereits vor einigen Jahren per Gesetz dafür gesorgt, dass mindestens 40 Prozent der in Schulkantinen, in der öffentlichen Verpflegung und in sozialen Einrichtungen verwendeten Lebensmittel saisonal und lokal angebaut werden und 20 Prozent als Bio-zertifiziert sein müssen. Der anschließend eingerichtete Nationale Rat für Gemeinschaftsverpflegung (CNRC) soll sicherstellen, dass ab 2022 mindestens die Hälfte der vom öffentlichen Sektor gekauften Lebensmittel „bio, nachhaltig oder unter offiziellen Qualitätszeichen“ stehen.  In Österreich macht ein Aktionsplan zur nachhaltigen öffentlichen Beschaffung klare Vorgaben für mehr Regionalität und mehr Lebensmittel aus biologischer Produktion in öffentlichen Kantinen. Im Jahr 2023 werden rund 25 Prozent der Lebensmittel aus ökologischer Produktion stammen. Bis 2025 soll der Bio-Anteil dann auf mindestens 30 Prozent steigen, bis 2030 auf mindestens 55 Prozent.

Von der Bio-Kantine zu einer gesundheitsbewussten und nachhaltigen Esskultur

Die Integration von Bio-Lebensmitteln in die Außer-Haus-Verpflegung – vor allem in Schul- und Betriebskantinen – hat positive Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen und die Umwelt. Wer an Orten arbeitet oder lernt, an denen der Wert einer bewussten und ökologischen Ernährung in jeglicher Hinsicht erlebbar ist, trifft auch im persönlichen Umfeld gesündere und umweltfreundlichere Ernährungsentscheidungen. Die ökologische Bewegung hat bereits gute Voraussetzungen und positive Auswirkungen in verschiedenen Teilen Europas geschaffen. Die Weiterführung dieser Bemühungen und die Anpassung an die lokalen Bedingungen und Bedürfnisse wird entscheidend sein, um eine nachhaltigere und gesündere Zukunft für alle zu schaffen. Durch die Überwindung von Herausforderungen wie den höheren Kosten für Bio-Lebensmittel, deren Logistik oder die Kontrolle und die effektive Nutzung der Chancen kann die Außer-Haus-Verpflegung zu einem Motor für positive Veränderungen in Bezug auf Gesundheit, Nachhaltigkeit und bewusste Ernährung werden. Mit diesem Ziel vor Augen steigt sicher auch der Bio-Kontrolleur gerne die anderthalb bis zwei Stunden auf das Prinz Luitpold Haus unterhalb des Hochvogels im Allgäu.