Nachhaltigkeitskommunikation - 8. Gebot: Du sollst kein Greenwashing betreiben
In der heutigen Konsumgesellschaft wächst das Bewusstsein für umweltfreundliche und sozial verantwortliche Praktiken stetig. Mit Greenwashing, Bluewashing bis hin zu Pinkwashing wird das erkennen von tatsächlich nachhaltigen Produkten für Verbraucher immer schwieriger.
„Ob Kosmetik, Lebensmittel oder Elektronik: Bei Konsumenten entsteht aktuell der Eindruck, dass bei fast allen Produkten Eigenschaften wie klimaneutral, plastikfrei oder recyclebar versprochen werden“, sagt Dr. Andreas Neus, Geschäftsführer und Vizepräsident vom Nürnberg Institut für Marktentscheidungen e. V. Das Gefühl kann er mit Zahlen unterlegen: Laut der aktuellen internationalen Studie „Greenwashing vs. Greenacting“1 seines Instituts nutzen 52 Prozent der befragten Unternehmen in ihrer Kundenkommunikation derzeit grüne Claims, also werbliche Aussagen in Zusammenhang mit Umwelt und Nachhaltigkeit. Den Grund dafür liefert er gleich mit: „Damit bedienen sie eine große Nachfrage – für 76 Prozent der befragten Konsumenten ist nachhaltiges Einkaufen wichtig.“ Die Versuchung, mit Hilfe von Greenwashing Verbraucher zu täuschen und Umsätze zu steigern, war noch nie so groß. Das ist eine Gefahr für die Bio- und Naturkosmetikbranche – genau wie für die Transformation zu einer nachhaltigen Wirtschaft und Gesellschaft.
Von Greenwashing über Bluewashing bis hin zu Pinkwashing
In der heutigen Konsumgesellschaft wächst das Bewusstsein für umweltfreundliche und sozial verantwortliche Praktiken stetig. Dies spiegelt sich insbesondere in den Präferenzen vieler Verbraucher wider, die zunehmend nachhaltige, biologische und ethische Produkte bevorzugen. Die Bereitschaft, für „grüne“ Produkte mehr zu bezahlen, zieht jedoch auch Unternehmen an, die weniger ehrliche Absichten verfolgen. Eine Praxis, die in diesem Zusammenhang immer mehr an Bedeutung gewinnt, ist das sogenannte „Whitewashing“ – zu deutsch: „Schönfärben“. Die verschiedenen Analogien zu diesem Begriff bezeichnen Strategien, mit denen Unternehmen vorgeben, zum Beispiel sozial oder ökologisch verantwortlich zu handeln, ohne dabei substantielle Maßnahmen oder Änderungen in ihren Geschäftspraktiken vorweisen zu können. Neben der wohl bekanntesten Form, dem Greenwashing, existieren unter anderem noch die ebenso verwerflichen Praktiken des Blue- und Pinkwashings.
Greenwashing erkennen und vermeiden
Greenwashing ist in der Regel eine Marketingstrategie, bei der Unternehmen ihre Produkte oder Dienstleistungen als umweltfreundlicher darstellen, als sie es tatsächlich sind, um zum Beispiel von der immer stärker werdenden Nachhaltigkeitsbewegung zu profitieren. Oder wissenschaftlicher formuliert: „Greenwashing ist ein Oberbegriff für verschiedene irreführende Kommunikationen und Praktiken, die absichtlich oder unbeabsichtigt falsche positive Wahrnehmungen der Umweltleistung einer Organisation erzeugen. Es kann von Unternehmen, Regierungen, Politikern, Forschungseinrichtungen, internationalen Organisationen, Banken und auch NGOs durchgeführt werden und reicht von leichter Übertreibung bis hin zu kompletter Erfindung, so dass es verschiedene Formen von Greenwashing gibt“, so das Ergebnis der Auswertung des aktuellen Wissenstands rund um Greenwashing durch eine interdisziplinäre Forschungsgruppe.2
Greenwashing geschieht oft durch die Verwendung von irreführenden Labels, falschen Umweltversprechen, grünen Bildern und Farben in der Verpackung und Werbung oder durch die Überbetonung minimaler grüner Initiativen. Bei Greenpeace hat man sich mal die Mühe gemacht, typische Greenwashing-Maßnahmen zusammenzutragen3:
- Alibi-Aktionen starten: Fokussierung der Kommunikation auf eine „grüne“ Eigenschaft, während andere, wichtigere Umweltthemen ignoriert werden. Ein Beispiel: Eine Restaurantkette wirbt für die Umstellung auf recycelbare Papierstrohhalme, während es weiterhin auf einen konventionellen Fleischlieferanten aus Übersee setzt.
- Nicht spezifisch sein: Absichtlich sehr weit gefasste oder unzureichende Begrifflichkeiten verwenden, um Missverständnisse hervorzurufen oder Nachprüfbarkeit zu erschweren. Ein Beispiel: Ein Kosmetikunternehmen verwendet ein Recyclingsymbol auf seinen Verpackungen, ohne zu sagen, dass es lediglich für einen kleinen Teil der Verpackung gilt.
- Keine Belege liefern: Behauptungen in den Raum stellen, ohne den Beweis für seine Behauptung zu liefern. Ein Beispiel: Ein Lebensmittelunternehmen verwendet auf der Produktverpackung den Begriff „klimaneutral“, stellt aber weder auf der Verpackung noch in sonstigen Produktinformationen klar, wie diese „Klimaneutralität“ zustande kommt.
- Grüne Schlagwörter oder Bilder verwenden: Werbung oder Verpackungen mit vielen natürlichen Szenen oder Bildern wie Bäumen und Blättern. Oder Schlagworte, die ohne Erklärung nichts bedeuten, wie "ungiftig", "ganz natürlich", "umweltbewusst" und "chemiefrei". Ein Beispiel: Eine Kosmetikmarke bewirbt eine Sonnencreme mit „ozeanfreundlich“ und dem Bild eines gesunden Korallenriffs.
- CO2-Emissionen lediglich kompensieren: Statt größte Anstrengungen zu unternehmen, die selbst verursachten CO2-Emissionen zu reduzieren, lediglich CO2-Kompensationsprogramme nutzen. Ein Beispiel: Eine Bäckerei nutzt für den Betrieb der Backstube weiterhin konventionellen Strom, statt auf Ökostrom umzustellen, und gleicht die verursachten CO2-Emissionen lieber durch die Finanzierung eines Aufforstungsprojekts aus.
- Redundante Behauptungen machen: Behauptungen aufstellen oder grüne Begriffe verwenden, wenn dies gar nicht notwendig ist. Ein Beispiel: Ein Getränkehersteller verwendet auf seinen Plastikflaschen den Hinweis „Flasche ohne Weichmacher“, obwohl das sowieso gesetzlich verboten ist.
An anderer Stelle werden noch die Verwendung fragwürdiger Labels und Siegel, der absichtlich übertriebene Einsatz von Fachbegriffen oder die bewusst konträre politische Einflussnahme als Greenwashing-Ansätze beschrieben. Während sich jedoch die zuvor genannten Strategien meist in einer rechtlichen Grauzone bewegen und oft nur moralisch verwerflich sind, trifft dies auf den ebenfalls existenten Ansatz der bewussten Lüge nicht mehr zu. In dem Fall geht es um unlauteren Wettbewerb und juristisch strafbare Taten.
Bluewashing, Pinkwashing und sonstige Formen der Verbrauchertäuschung
Bluewashing bezieht sich auf die Praxis von Unternehmen, sich als sozial verantwortlich darzustellen, oft durch die Assoziation mit anerkannten internationalen Organisationen und Normen, ohne jedoch substantielle Maßnahmen zu ergreifen, um soziale und ethische Herausforderungen anzugehen. Im Gegensatz zum Greenwashing, das sich auf Umweltclaims konzentriert, richtet sich Bluewashing eher auf soziale und ethische Aspekte.Pinkwashing hingegen ist eine Praxis, bei der sich Unternehmen oder Marken mit LGBTQ+ Gemeinschaften oder anderen marginalisierten Gruppen solidarisieren, um ein progressives Image zu erzeugen, ohne jedoch eine substantielle Unterstützung oder inklusive Praktiken in ihrem Geschäftsbetrieb zu zeigen. Dies kann auch geschehen, um von der damit verbundenen positiven Aufmerksamkeit zu profitieren, ohne sich tatsächlich für die Rechte oder das Wohl dieser Gemeinschaften einzusetzen. Ein typisches Beispiel sind umgestaltete Unternehmenslogos in Regenbogenfarben während des alljährlichen Pride Month – allerdings nur in den Regionen, die der LGBTQ+ Community offen oder zumindest neutral gegenüberstehen, nicht aber zum Beispiel in arabischen Ländern oder in Rußland.
Weitere Formen sind zum Beispiel Purplewashing, bei dem es um Kommunikation über vermeintliche Gleichberechtigung der Geschlechter geht, oder Healthwashing, also die Kommunikation von bewusst irreführenden Gesundheitsversprechen.
Risikofaktor Greenwashing
Genau wie Greenwashing können alle zuvor genannten Methoden – bewusst oder unbewusst – auch von Vertretern der Bio- und Naturkosmetikbranche angewendet werden. Eine Auseinandersetzung mit dem Thema für mehr Sensibilisierung macht also auch branchenintern durchaus Sinn. Wie leicht ist das Logo von der Kommunikationsabteilung für ein paar Tage oder Wochen in Regenbogenfarben eingefärbt, aber in ihrem Unternehmen gibt es weder Unterstützung für ein LGBTQ+ Netzwerk noch Tamponautomaten auf den Herrentoiletten? Oder wie groß ist die Versuchung, ein Produkt dank CO2-Kompensation für bessere Absatzzahlen als „klimaneutral“ zu bewerben, statt in Maßnahmen zu investieren, die wirklich zu einer Reduzierung der CO2-Emissionen in der eigenen oder vorgelagerten Produktion führen würden?Vermeidbare Fehler oder vorsätzliche Täuschungsmanöver können das betroffene Unternehmen viel Geld kosten. „Wenn der grüne Anstrich bröckelt, sich nachhaltige Produkte als gar nicht so nachhaltig herausstellen, und Unternehmen offensichtlich ihrer Verantwortung nicht nachkommen, droht ein massiver Reputationsverlust bei Aktionären und Konsumenten. Viele Unternehmer unterschätzen die einhergehenden negativen Auswirkungen auf den Unternehmenswert“, weiß Gunter Lescher, Partner Forensic Services bei PwC Deutschland. Das Nürnberger Institut für Marktentscheidungen hat auch hierfür eine eindrückliche Zahl parat: 72 Prozent der befragten Konsumenten meiden Unternehmen oder Marken, denen falsche beziehungsweise irreführende Nachhaltigkeitsversprechen vorgeworfen werden.4
Im schlimmsten Fall warten die Klage und der Gang vor Gericht – so wie im Fall der Drogeriemarktkette dm. Die geriet zum Beispiel im Frühjahr 2022 gemeinsam mit mehreren anderen Unternehmen ins Visier der Deutschen Umwelthilfe (DUH), die im Interesse des Verbraucherschutzes juristisch gegen irreführende Werbeversprechen vorging, in denen behauptet wurde, Produkte seien „klimaneutral“. Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der DUH, begründete das Vorgehen ehemals so: „Das Werbeversprechen der Klimaneutralität ist vielfach Verbrauchertäuschung. Oftmals ist es eher ein CO2-Ablasshandel, mit dem sich Unternehmen grün waschen. So wird den Menschen Geld aus der Tasche gezogen, das Klima aber nicht geschützt.“ Diesen Sommer gab das Landgericht Karlsruhe der DUH recht, da so Erwartungen geweckt werden würden, die die betroffenen Produkte nicht erfüllten. Für den die DUH vertretenden Rechtsanwalt Prof. Dr. Remo Klinger kein Wunder: „Wie absurd das Modell der Kompensation ist, zeigt ein Beispiel: Statt mühsam und teuer die Emissionen Deutschlands tatsächlich zu senken, müsste der Bundesfinanzminister lediglich 19 Milliarden Euro im Jahr zahlen, damit Deutschland laut dieses Ablasshandels auf dem Papier ab sofort klimaneutral ist. Das ist weniger als die Hälfte des Jahresgewinns von BMW, Daimler und VW in 2021. Und real würde Deutschland die Klimakrise ungebremst anheizen.“
Egal wie man persönlich zur DUH und den Klagen steht – insbesondere gegen Greenwashing muss etwas getan werden. „Greenwashing zerstört Vertrauen und ist damit eine Gefahr für eine erfolgreiche Transformation unserer Gesellschaft“, warnte erst kürzlich auch Antje von Dewitz, Geschäftsführerin des Outdoorunternehmens Vaude, auf dem Businessportal LinkedIn. Denn mit jedem Greenwashing-Fall verringert sich nicht nur die Glaubwürdigkeit echter unternehmerischer Nachhaltigkeitsbemühungen, sondern verlieren wir als Gesellschaft auch wertvolle Zeit, die für echte und wirksame Nachhaltigkeits-Veränderungen nötig wäre.
Hoffnungsschimmer: Die „EU Green Claims“ Initiative
Im März 2023 hat die Europäische Kommission einen Vorschlag für eine Richtlinie zu Green Claims5, also Werbebotschaften im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit, vorgelegt. Dieser Vorschlag ergänzt und konkretisiert einen vorherigen Entwurf für eine Richtlinie zur Stärkung der Verbraucher in der nachhaltigen Transformation unserer Wirtschaft und Gesellschaft. Die Initiative zielt darauf ab, den Verbrauchern zuverlässige, vergleichbare und überprüfbare Umweltinformationen über Produkte zu bieten. Zu den Kernmaßnahmen der Initiative gehört es, klare Kriterien dafür zu schaffen, wie Unternehmen ihre Umweltangaben und -kennzeichnungen nachweisen müssen. Außerdem sollen diese Angaben und Kennzeichnungen von einem unabhängigen und akkreditierten Gutachter überprüft werden müssen. Zusätzlich soll es neue Regeln für die Verwaltung von Umweltzeichen und -Labels geben, um sicherzustellen, dass sie solide, transparent und zuverlässig sind. Das EU-Umweltzeichen und das EU-Bio-Logo für ökologische/biologische Lebensmittel sind im Übrigen bereits durch etablierte Rechtsvorschriften abgedeckt und daher von dieser Richtlinie ausgenommen.Dennoch stellt die EU Green Claims Richtlinie eine bedeutende Entwicklung dar, da sie zum einen im Interesse der Unternehmen die Anforderungen für die Bewerbung ökologischer Produkte und Dienstleistungen klarer als bisher definieren wird. Zum anderen zwingt sie die Unternehmen im Sinne der Verbraucher, ihre grünen Werbeversprechen und -botschaften sorgfältig zu prüfen und transparent zu belegen. Allerdings muss die neue Richtlinie erst noch vom Europäischen Parlament und vom Rat der Europäischen Union beschlossen werden, bevor sie in Kraft treten kann. Das dürfte im Frühjahr 2024 der Fall sein. Sollte der Beschluss dann getroffen werden, haben die Mitgliedstaaten der Europäischen Union 24 Monate Zeit, die Richtlinie in nationales Recht umzusetzen.
In jedem Fall ist zu erwarten, dass das Greenwashing und die EU Green Claims Initiative auch auf der internationalen Fachmessen BIOFACH und VIVANESS, die vom 13. bis 16. Februar 2024 in Nürnberg stattfinden, große Themen sein werden.
Quellen:
[1] Nürnberg Institut für Marktentscheidungen (2023). Greenwashing vs. Greenacting: Wünsche, Erwartungen und Perspektiven von Konsumenten und Marketingmanagern in acht Ländern. NIMpulse 2023-4 (https://www.nim.org/fileadmin/3_NIM_Publikationen/NIM-Studien/NIMpulse/230717_NIMpulse_2023-4_Greenwashing_fin.pdf)
[2] https://www.mdpi.com/2071-1050/14/8/4431
[3] https://www.greenpeace.org.uk/news/what-is-greenwashing/
[4] Nürnberg Institut für Marktentscheidungen (2023). Greenwashing vs. Greenacting: Wünsche, Erwartungen und Perspektiven von Konsumenten und Marketingmanagern in acht Ländern. NIMpulse 2023-4 (https://www.nim.org/fileadmin/3_NIM_Publikationen/NIM-Studien/NIMpulse/230717_NIMpulse_2023-4_Greenwashing_fin.pdf)
[5] https://environment.ec.europa.eu/topics/circular-economy/green-claims_en