- 15.10.2025
- Zukunft Handel
Effiziente Regalstrategie für Bio & Konventionell
Wie der selbstständige Einzelhandel mit kluger Sortimentsstrategie und gezielter Warenplatzierung Vielfalt schafft und seinen Kundinnen und Kunden Orientierung bietet.
Geschrieben von Manuela Jagdhuber

Die Bedeutung des selbständigen Einzelhandels (SEH)
Der selbständige Einzelhandel ist ein Schwergewicht im deutschen Lebensmittelhandel: Bei Edeka werden rund 3.200 Märkte von selbstständigen Kaufleuten geführt, bei Rewe sind es etwa 1.800¹. Die Märkte sind zugleich die am stärksten regional verankerte Form des Handels – häufig familiengeführt und mit teils jahrzehntelanger Tradition. Ihre besondere Stärke liegt in der Sortimentsgestaltung: Vom günstigen Preiseinstieg über starke Eigenmarken bis hin zu Bio-Pionieren und regionalen Spezialitäten finden Konsumentinnen und Konsumenten hier alles unter einem Dach.
Doch Vielfalt braucht klare Strukturen: Welche Rolle spielen Bio, Eigenmarken und konventionelle Produkte im Sortiment? Wie gelingt die Balance zwischen Preiswettbewerb und Profilbildung? Eine durchdachte Sortimentsstrategie und Warenpräsentation sind dabei entscheidend. Eine strukturierte Warenanordnung, die Berücksichtigung unterschiedlicher Regalzonen und eine gezielte Platzierung in der Sicht- oder Greifzone helfen, Umsatzpotenziale zu heben und den Markt flexibel an neue Kundenbedürfnisse anzupassen. Zwei Beispiele aus Trier und Mittelfranken zeigen, wie unterschiedlich erfolgreiche Konzepte aussehen können.
Bio als Wachstumstreiber im SEH
Besonders am Beispiel von Bio zeigt sich, wie wirkungsvoll eine kluge Sortimentsstrategie im selbstständigen Einzelhandel sein kann. Bio hat sich längst vom Nischenthema zum festen Umsatzpfeiler entwickelt. Immer mehr Kaufleute erkennen darin die Chance, ihr Profil zu schärfen, sich vom Wettbewerb abzugrenzen und neue Kundengruppen zu gewinnen.
Edeka Quint – Bio im Regal als gelebte Vielfalt
Bei Edeka Quint in Trier macht der Bio-Anteil rund 30 Prozent des Sortiments aus – doch das war nicht immer so. Wie groß der Wandel war, verdeutlicht Inhaberin Theresia Quint selbst: „Vor 20 Jahren war ich schon stolz, wenn ich es geschafft habe, eine Bio-Milch im Laden zu haben“, erinnert sie sich. Heute ist Bio für sie ein selbstverständlicher Bestandteil der Sortimentsvielfalt und trägt maßgeblich zum Umsatz bei. Möglich wurde das durch die Öffnung des Bio-Großhandels hin zum konventionellen Einzelhandel: „Für mich ist das mittlerweile das Paradies auf Erden, weil ich eine Sortimentsvielfalt bestellen kann, ohne an Mindestmengen einzelner Lieferanten zu scheitern.“
Rewe Zwingel – Zwei Wege zur effizienten Regalstrategie
Auch das Familienunternehmen Rewe Zwingel, das auf eine über 100-jährige Tradition zurückblickt und heute neun Märkte in Mittelfranken betreibt, setzt Bio gezielt als Wachstumstreiber ein – allerdings mit einem anderen Ansatz. Während Quint Bio konsequent in die Sortimentsbreite integriert, verfolgt Zwingel eine zweigleisige Strategie: Einerseits setzt das Unternehmen auf separate Shop-in-Shop-Bereiche für Bio-Fachhandelsware wie Demeter oder Bioland, die bewusst außerhalb der Standard-Regale präsentiert wird. Diese Warenpräsentation betont Qualität und Herkunft: „Damit sprechen wir gezielt Konsumenten an, die eine hohe Bio-Qualität suchen“, erklärt Fabian Zwingel, Vertriebsassistent und Sohn des derzeitigen Geschäftsführers Matthias Zwingel.
Andererseits gibt es das zentralseitig gesteuerte Rewe-Regal mit einer Sortimentslogik nach Warengruppen, Preissegmenten und Marken. Durch die Kombination von konventionellen Produkten, Eigenmarken und Bio-Marken in klar gegliederten Regalzonen entsteht Transparenz und Vergleichbarkeit – Bio neben Konventionell, Marke neben Eigenmarke. Ergänzt durch eine strukturierte Warenanordnung und die gezielte Nutzung von Regalzonen im Einzelhandel schafft Zwingel Übersicht im Markt und spricht damit sowohl preisbewusste Kundinnen und Kunden als auch eine anspruchsvolle Bio-Käuferschaft gleichermaßen an.
Regionalität und Persönlichkeit als USP des SEH
Regionalität ist die zweite große Stärke des selbstständigen Einzelhandels – und wird bei beiden Kaufleuten großgeschrieben. Während große Handelsketten zentral einkaufen, können Einzelhändler wie Quint oder Zwingel direkt mit Landwirtinnen und Landwirten vor Ort zusammenarbeiten und dadurch regionale Produkte gezielt ins Sortiment integrieren.
Edeka Quint – Nähe, Qualität und klare Warenstruktur
Theresia Quint betont die enge Beziehung zu den Landwirten: „Viele Landwirte denken gar nicht daran, dass Edeka-Kaufleute selbständig einkaufen“, erzählt Theresia Quint. „Für mich persönlich hat regionale Bio-Ware immer Priorität. Gleichzeitig schaue ich mir auch konventionelle Landwirte genau an: Viele arbeiten nachhaltig, verzichten auf Spritzmittel oder wollen einfach den Aufwand einer Bio-Zertifizierung nicht. Auch sie haben bei mir ihren festen Platz im Sortiment, weil es am Ende darum geht, Landwirtschaft in der Region zu erhalten.“
Das bedeutet aber auch viel Einsatz: Sie arbeitet mit rund 150 Lieferanten zusammen und muss ihre Mitarbeitenden regelmäßig schulen, „damit sie nicht den bequemeren Weg gehen und einfach beim Zentrallager bestellen“. Diese persönliche Haltung spiegelt sich direkt in ihrer Sortimentsstrategie wider – mit klarer Warenanordnung, vielfältigen Regalzonen im Einzelhandel und einem Sortiment, das regionale wie auch nachhaltige Produzenten sichtbar macht.
Diese konsequente Arbeit macht ihre Märkte unverwechselbar: „Bei uns spüren die Menschen: Das ist nicht irgendein Edeka, das ist der Edeka Quint.“ Quint ist präsent im Markt, kennt ihre Kundschaft persönlich und sucht das Gespräch – sei es an der Theke, bei Verkostungen oder in Aktionen vor Ort. Ihre Märkte tragen diese persönliche Handschrift. Ergänzt wird dies durch ihren Sohn, der mit Formaten wie seinem Podcast „Good Food Friday“ auf Instagram digitale Wege nutzt, um insbesondere eine jüngere Zielgruppe für frische, regionale und saisonale Ernährung zu begeistern.
Rewe Zwingel – Regionalität trifft Regalstrategie
Auch Fabian Zwingel verankert seinen Markt in der Region. „Der direkte Kontakt zu unseren Lieferanten schafft Vertrauen, Transparenz und kurze Lieferwege – so garantieren wir Frische und unterstützen die heimische Wirtschaft“, betont Fabian Zwingel. „Wir möchten eine Art Marktplatz der Dörfer sein – ein Ort, an dem Menschen alles fürs leibliche Wohl finden und zugleich Raum für Begegnung haben.“
Seine persönliche Handschrift zeigt sich zudem in der konsequenten Ausrichtung auf hochwertige, nachhaltige Bio-Produkte und deren gezielte Platzierung am Point of Sale. Durch eine wiedererkennbare Regaloptik, kreative Sonderaufbauten mit saisonalen Artikeln und regelmäßige Verkostungsaktionen gelingt eine effiziente Regalstrategie, die Struktur schafft und die Sortimentslogik für alle Kundengruppen transparent macht. „So wird Bio bei uns erlebbar – authentisch, transparent und nah an den Menschen“, fasst Zwingel zusammen.
Für Kundinnen und Kunden eine Frage des Preises – Eigenmarken vs. Marken
Im wachsenden Bio-Markt spielen Eigenmarken eine immer größere Rolle – für Hersteller wie für Verbraucherinnen und Verbraucher. Quint sieht darin Chancen und Risiken: „Wenn die Edeka-Bio-Marke einen ganzen Euro günstiger ist als die Herstellermarke, muss man dem Kunden keinen Vorwurf machen, wenn er zugreift. Das Risiko liegt bei den Herstellern: Sie müssen sich entscheiden, ob sie ihre Marke langfristig stark halten oder Handelsmarken produzieren wollen. Beides kann durchaus nebeneinander funktionieren – vorausgesetzt, das Rohwarenmanagement ist strategisch gut aufgestellt und sichert Qualität, Herkunft und Verfügbarkeit auf beiden Kanälen.“
Auch Zwingel betont, dass Eigenmarken und Marken sich ergänzen können – entscheidend sei, dass Qualitätsstandards gewahrt bleiben. Durch die Rewe-Bio-Eigenmarke hat er die Möglichkeit, einen preislich attraktiven Einstieg zu schaffen, ohne auf Nachhaltigkeit verzichten zu müssen. Gleichzeitig ist dies fester Bestandteil seiner Sortimentsstrategie, die bewusst auf Sortimentsvielfalt setzt und dadurch unterschiedliche Zielgruppen anspricht.
Gerade beim Preis sieht sich der SEH im Wettbewerb nicht nur mit Discountern, sondern zunehmend auch mit Drogeriemärkten herausgefordert. „Ich hätte mir früher nie vorstellen können, dass jemand seine Haferflocken lieber bei dm kauft als im Lebensmittelmarkt“, sagt Quint. „Aber das zeigt, wie stark sich Einkaufsgewohnheiten verändern – die Verbraucher denken heute weniger in klassischen Kategorien.“
Umso wichtiger ist es, dass der SEH seine Stärken ausspielt: Vielfalt, Transparenz und Service. Während Discounter und Drogeriemärkte Bio meist über den günstigsten Preis definieren, bietet der SEH die gesamte Bandbreite – vom günstigen Einstieg bis hin zu hochwertigen Premiummarken. Quint bringt es auf den Punkt: „Bei uns entscheidet der Kunde frei. Wer vergleicht, erkennt schnell den Unterschied in Qualität, Herkunft und Transparenz.“
Ein weiterer Wettbewerbsvorteil liegt in den Regalzonen im Einzelhandel, die individuell genutzt werden können: vom günstigen SB-Bereich bis hin zur bedienten Frischetheke. Quint hat ihre Warenanordnung bewusst neu gedacht: „Das günstige Fleisch liegt bei uns im SB-Regal – das hochwertige Bioland-Fleisch an der Theke, mit fachkundiger Beratung.“ Damit positioniert sich der SEH klar als kompetenter, kundenorientierter Anbieter.
Vielfalt, Persönlichkeit und Bildung als Zukunftsthemen
Für die Zukunft sieht Quint den SEH in einer starken Rolle – insbesondere bei regionalem Bio. „Regionalität ist die ganz große Stärke des SEH. Gleichzeitig müssen wir unsere Kompetenz im Bio-Bereich weiter ausbauen, um uns vom Discount abzugrenzen.“ Auch Zwingel blickt optimistisch nach vorne: „Unsere Aufgabe ist es, die breite Masse zu bedienen – von gut und günstig bis zu hochwertigen Bio-Produkten. Nur so bleiben wir zukunftsfähig.“
Der Druck wächst jedoch: Discounter wie Lidl setzen massiv auf Bio, Drogeriemärkte sind längst ernstzunehmende Lebensmittelhändler. Das macht die Eigenständigkeit des SEH umso wichtiger. „Verbraucher verstehen oft nicht, dass Edeka Quint kein standardisierter Markt wie Aldi ist. Genau diese Vielfalt und Persönlichkeit müssen wir sichtbarer machen“, betont Quint.
Darüber hinaus setzt Quint, Präsidentin des Handelsverbandes Region Trier, ein klares Signal beim Thema Bildung: „Es reicht nicht, Regale aufzufüllen. Mitarbeiter und Auszubildende sollen wissen, was sie verkaufen. Es geht über das Produktwissen hinaus um ein grundsätzliches Verständnis von Ernährung und Landwirtschaft. Ernährung gehört für mich klar zur Bildung.“
Im Rahmen ihrer Verbandsarbeit macht sie sich dafür stark, dass Ernährung als eigenes Fach in die Schulen gehört – um junge Menschen früh für Qualität, Regionalität und Nachhaltigkeit zu sensibilisieren.
Die Beispiele von Edeka Quint und Rewe Zwingel zeigen: Erfolgreiche und effiziente Regalstrategien im selbstständigen Einzelhandel gehen weit über reine Warenplatzierung hinaus. Sie verbinden eine klare Regalanordnung und Sortimentsvielfalt mit Regionalität, Transparenz und persönlicher Handschrift. Gerade im Spannungsfeld zwischen Preiswettbewerb, wachsender Bedeutung von Eigenmarken und der Herausforderung durch Discounter und Drogeriemärkte beweisen die Kaufleute, dass Vielfalt nicht zu Beliebigkeit führt, sondern zu Stärke. Das Erfolgsrezept des SEH ist damit kein abstraktes Konzept, sondern gelebte Praxis: klare Struktur, gelebte Regionalität und die Persönlichkeit der Kaufleute. Menschen kaufen nicht einfach bei Edeka oder Rewe – sie kaufen bei Quint, bei Zwingel, bei Müller.
1 Edeka-Verbund Geschäftsbericht 2024, Rewe Group Unternehmensangaben 2025