• 27.08.2025

Transformationskraft Retail: Bio-Wachstumspotenziale ohne Limits?

Im gleichnamigen SustainableFutureLab der BIOFACH ging es um Preisdruck, Verantwortung und Rollen im Handel von Bio-Lebensmitteln. Geschäftsführende von Drogerie, Discount, Fach- und Lebensmitteleinzelhandel sowie die Wissenschaft kamen in einer Runde zusammen, als BIOFACH und GOOD FOOD COLLECTIVE einluden, um über Herausforderungen und Chancen in einem sich stetig wandelnden Markt zu sprechen.

Geschrieben von BioHandel

Eine Gruppe von Menschen sitzt in einem modernen, gut beleuchteten Raum in einem Stuhlkreis und diskutiert.
© blood actvertising GmbH / Sofie Ott

Auch im zweiten Jahr des neuen Formats wurden in dem interaktiven Format provokante Thesen zur Diskussion gestellt, über die das Publikum abstimmte: „Handel ist ein degeneratives System“, „Top-Erfolgsfaktor von Drogerie und Discount ist nicht der Preis“ und „Die größte Macht, das Ernährungssystem zu transformieren, hat der Handel“ sowie ein Perspektivwechsel unter den Speaker:innen sorgten für Klarheit und auch Reibung. Das Ziel: mehr als erwartbare Aussagen in einer solchen Konstellation zu erhalten.

Für viele Verbraucher:innen ist der Preis mehr denn je das entscheidende Kriterium beim Lebensmitteleinkauf. Die letzten Jahre brachten eher eine Verschiebung von Marktanteilen als den weiteren Ausbau von Bio im Vergleich zu konventionell. Hängt der Absatz von Bio-Lebensmitteln hauptsächlich an der Preisfrage? Welche Rollen haben die verschiedenen Handelssektoren bei der Entwicklung von Bio? Und wo liegt der größte Hebel für die sozial-ökologische Transformation des Lebensmittelmarkts?

 

Preis, Bildung, Verantwortung: Perspektiven aus dem Discount

Hans Martin Hermann, Head of Corporate Affairs bei Lidl, unterstrich, dass alle Handelsformen ihre Rolle im System hätten. Die Pioniere der Bio-Szene hätten wichtige Impulse gesetzt, der Fachhandel allein könne die Skalierung von Bio nicht erbringen. Der Discount wiederum könne zwar keine persönliche Beratung leisten, erreiche aber breite Bevölkerungsschichten. Mit dem breiten Angebot bei Lidl und der Wahl zwischen Bio und konventionell könne die Reichweite von Bio wachsen. Gleichzeitig unterstrich Hermann die Preisorientierung vieler Kund:innen: Die Sensibilität sei hoch, die Markentreue gering. Dazu komme ein Mangel an grundlegender Ernährungskompetenz.

BNN: Gegen Billig-Botschaften, für einen Kulturwandel

Kritik an der weit verbreiteten Kommunikation nach dem Motto „billig ist besser“ kam von der Geschäftsführerin des Bundesverbands Naturkost Naturwaren (BNN), Kathrin Jäckel: Stattdessen brauche es einen grundlegenden Wertewandel, damit sich tatsächlich etwas bewege.

Auch Jäckel sieht in der Reichweite ein zentrales Thema: Die Menschen zu erreichen, sei der Schlüssel. Der Ursprung der Bio-Bewegung sei bereits als Alternative zum konventionellen Ernährungssystem gedacht gewesen. Man habe sich allerdings zu lange an den eigenen Idealen orientiert – und dabei die Bedürfnisse der Kund:innen vernachlässigt. Mit erhobenem Zeigefinger habe man Druck erzeugt – das habe sich stark geändert. Heute sei eine Transformation zu sehen, die auf Kooperation und positive Narrative setze. Und der Fachhandel sei weiterhin in einer tragenden Rolle für die notwendigen Veränderungen.

Eine Frau mit rötlichem Haar spricht mit einem Mikrofon vor einer Gruppe, die im Stuhlkreis sitzt.
© blood actvertising GmbH / Sofie Ott
Eine Frau mit blonden Haaren spricht mit einem Mikrofon vor einer Gruppe, die im Stuhlkreis sitzt.
© blood actvertising GmbH / Sofie Ott

dm: Genuss statt Verzicht – Bio für alle

dm-Geschäftsführerin Kerstin Erbe beschrieb die Strategie des Unternehmens als „Demokratisierung von Luxus“. Ziel sei es, alle Menschen zu erreichen – und ihnen Produkte anzubieten, die nachhaltig und gleichzeitig bezahlbar seien, passend zu der Struktur der Kund:innen, die den Querschnitt der Gesellschaft abbilde. Bio müsse nicht exklusiv sein und der Genuss müsse im Vordergrund stehen. So setze dm ein Gegengewicht zum Image von Bio als teuer oder asketisch. Dass Nachhaltigkeit und guter Geschmack Hand in Hand gehen können, wolle man gezielt zeigen.

Dennree: Bio sichtbar machen – aber auch zugänglich

Für Lukas Nossol, Kommunikationschef des Bio-Fachhändlers Dennree, ist das wachsende Bio-Angebot im Discount kein Problem. Die Grundversorgung mit Bio gehöre dort hin, sagte er – im Fachhandel sei dagegen Raum für Tiefe, Auswahl und Beratung.
Einen Rückgang der Kundenzahlen oder eine reine Umverteilung habe Dennree nicht festgestellt. Nossol sieht ebenfalls eine Wissenslücke bei Ernährung als Herausforderung: Das Bildungsniveau bereite ihm Sorgen. Gleichzeitig betonte er, dass hohe Preise oder niedrige Einkommen nicht die zentralen Aspekte seien, da z.B. auch Studierende zu den Kund:innen des Biomarkt-Verbunds gehörten.

Eine Gruppe von Menschen sitzt in einem stimmungsvoll beleuchteten Raum mit Pflanzen im Hintergrund.
© blood actvertising GmbH / Sofie Ott

LEH: Strukturen noch nicht bio-fit

Theresia Quint, Geschäftsführerin von drei EDEKA-Märkten mit rund 30 % Bio-Anteil und Vorstandsvorsitzende des Vereins Bioland Verarbeitung & Handel, sieht im klassischen Lebensmitteleinzelhandel noch viel Nachholbedarf. Bio funktioniere anders – und dafür fehlen oft die richtigen Strukturen und das Verständnis, so Quint. Wenn Bio wie konventionelle Ware behandelt werde, drohe ein Vertrauensverlust. Die Konsequenz: Der LEH müsse lernen, Bio anders zu denken – und zu handeln.

 

Wahre Preise, echte Transformation

Hinsichtlich der wahren Kosten von Lebensmitteln war das Plenum sich einig: Professor Stephan Rüschen von der Dualen Hochschule Baden-Württemberg forderte von der Politik, Umweltfolgekosten in die Preise einzubeziehen und Bio-Produkte steuerlich zu entlasten – etwa durch eine reduzierte Mehrwertsteuer. Würden externe Kosten berücksichtigt, so Rüschen, wäre Bio im Verhältnis günstiger – und es entstünde ein gerechteres, nachhaltigeres Preisgefüge. Seine Analyse: „Wir wissen seit 1985, dass wir vor die Wand fahren.“ Kleine Schritte reichten nicht – es brauche drastischere Veränderungen.

Auch Quint betonte, dass Konsument:innen ein Bewusstsein für ihren Einfluss entwickeln müssten. Und Erbe ergänzte, es sei Wahnsinn, dass ausgerechnet das, was zukunftsfähig ist, oft am teuersten sei. Sie zitierte Ursula von der Leyen: „Wir müssen der Natur einen Preis geben.“

Im Raum herrschte große Zustimmung bei der These, „Die größte Macht, das Ernährungssystem zu transformieren, hat der Handel.“ Und auch die Vertreter:innen der Handelsunternehmen sahen sich in einer entsprechenden Verantwortung.

Nicht zuletzt war interessant zu sehen, dass im Perspektivwechsel Einigkeit herrschte: Es brauche alle unterschiedlichen Handelssektoren, um Bio weiterhin wachsen zu lassen: Discount, Drogeriemarkt, den stationären Handel und den Fachhandel.

Dieser Artikel erschien in seiner ursprünglichen Form auf biohandel.de

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