Von Allesesser bis Fleischliebhaber – Die Gegentrends zu Plant-Based Food
24.01.2024

Von Allesesser bis Fleischliebhaber – Die Gegentrends zu Plant-Based Food

Vegourmets, Real Omnivores und Carneficionados. Was verbirgt sich hinter diesen Food-Trends und wie greift sie die Gastronomie auf?

Veganes Linsencurry mit Gemüse, Draufsicht. Gesunder vegetarischer Essenshintergrund.

Jeder erfolgreiche Trend generiert Gegentrends, die alternative Lösungen für die wahrgenommenen Probleme anbieten. Haupttreiber der großen Food-Trends sind Klimakrise, Umweltprobleme, Verlust der Biodiversität, die eigene Gesundheit und Tierwohl. Die Sorge der Menschen äußert sich im großen Trend Plant-based Food mit seinen Abstufungen Veganismus, Vegetarismus und Flexitarismus. Die von Hanni Rützler identifizierten aktuell aufkommenden Gegentrends, sind Vegourmets, Real Omnivores und Carneficionados. Was steckt hinter diesen gegenläufigen Trends und wie beeinflussen sie die Gastronomie?

In Deutschland ernähren sich insgesamt etwa zwölf Prozent der Menschen vegetarisch (9 Prozent) oder vegan (3 Prozent). Dies ergab eine repräsentative Forsa-Umfrage im Auftrag des Bundesverbands des Deutschen Lebensmittelhandels (BVLH) zum Thema pflanzenbasierte Ernährung1. Weitere 41 Prozent der Befragten bezeichneten sich bei der Umfrage als Flexitarier, schränken also ihren Fleischkonsum bewusst ein.

Die dadurch steigende Beliebtheit pflanzlicher Fleischalternativen löst aber auch Gegenbewegungen aus2. In der Forsa-Umfrage nannten 65 Prozent der Befragten einen erhöhten Anteil an Fett, Salz, Zucker oder Zusatzstoffen als einen Grund, vegane Fleischalternativen, nicht zu kaufen. Diese Skepsis teilen auch die Befürworter der Food-Trends „Vegourmets“, „Carneficionados“ und „Real Omnivores“, die Fleisch aus standardisierten, industriellen Produktionsketten sowie pflanzliche Ersatzprodukte meiden.

Ricky Saward, Sternekoch im veganen Gourmet-Restaurant Seven Swans Ricky Saward, Sternekoch im veganen Gourmet-Restaurant Seven Swans
Vegourmets ernähren sich vegetarisch bzw. vegan und verzichten auf Fleischersatzprodukte, denn sie stehen industriell verarbeiteten Produkten grundsätzlich sehr skeptisch gegenüber. So haben auch die Gerichte von pflanzlich orientierten Gourmet-Restaurants nichts mit Fleischersatzprodukten zu tun. Es geht nicht darum, den Fleischgeschmack zu imitieren. Stattdessen steht das Kreieren von originären Speisen aus Gemüse, Obst, Getreiden, Hülsenfrüchten und Kräutern, bei deren Genuss niemand das Tierische vermisst, im Fokus. So auch im Seven Swans in Frankfurt am Main. Das Restaurant wurde 2020 als erstes veganes Restaurant der Welt mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet. Küchenchef und Sternekoch Ricky Saward erklärt, wie sie das Vegourmet-Konzept im Restaurant umsetzen: „Wichtig ist uns, dass wir die Vielfalt eines Gemüses demonstrieren. Wir möchten zeigen, was für ein Wahnsinns-Spektrum jedes einzelne Gemüse besitzt, sodass man ein vollwertiges, facettenreiches Gericht vorfindet aus nur einem einzigen Gemüse.“

Ricky Saward ist nicht allein: Immer häufiger werden vegane Köche mit einem Michelin Stern ausgezeichnet. Auch die Einführung des Grünen Sterns3 durch den Gourmetführer Guide Michelin, der besonders nachhaltige Gastronomie auszeichnet, ist ein Beleg für das Umdenken in der gehobenen Gastronomie.
Oliver Kühler, Geschäftsführer und Küchenchef im „Misnik – the meat restaurant“ Oliver Kühler, Geschäftsführer und Küchenchef im „Misnik – the meat restaurant“
Carneficionados essen Fleisch, sind sich aber der ethischen, ökologischen sowie der Klimafolgen der Massentierhaltung und des hohen Fleischkonsums bewusst. Daher essen sie Fleisch aus verantwortungsvoller, möglichst tier- und klimafreundlicher Produktion. Darauf setzt auch das „Misnik – the meat restaurant“ in St. Gallen. Geschäftsführer und Küchenchef Oliver Kühler erläutert: „Das Fleisch, das wir beziehen, ist zum größten Teil von Bauern aus der Umgebung, die auf Aufzucht, Haltung und Gesundheit ihrer Tiere schauen. Wir arbeiten sehr eng mit unseren Lieferanten zusammen und können dadurch die genaue Herkunft und Haltung der Tiere nachverfolgen.“ Bei den Carneficionados stehen außerdem neue Fleisch-Qualitäten wie "Dry Aged" und Fleisch von älteren Tieren auf dem Speiseplan. Landwirte erweitern ihr Angebot durch die Wiederbelebung alter, seltener Rassen oder die Einführung exotischer Tiere wie Yaks, Bisons, Wagyu- und Angus-Rinder, Lamas sowie Alpakas, also Exotisches aus der Nachbarschaft (Local Exotics). Doch nicht nur die Wiederbelebung dieser Rassen zeichnen den Carneficionados-Trend aus. Kühler ergänzt: „Im Misnik verwenden wir alles vom Tier. Sozusagen Nose to Tail. Ich finde, dass ein Rind nicht nur für seine Edelstücke sterben muss. Eine geschmorte Rindsbacke oder ein Hanging Tender ist nach guter und sorgfältiger Zubereitung viel geschmacksvoller und hat eine bessere Konsistenz als ein Stück Filet. So versuchen wir, der Verschwendung ein wenig entgegenzuwirken und können somit auch noch attraktivere Preise für unsere Gäste anbieten. Das ist in der aktuellen Zeit, wo alles teurer wird, ein weiterer Pluspunkt.“
Andreas Koitz, Gründer und Geschäftsführer von Prime Insects Andreas Koitz, Gründer und Geschäftsführer von Prime Insects
Real Omnivores sind offen für neue Food-Technologien wie In-Vitro-Fleisch, Insekten, Algen, Fisch aus Zellkulturen, behalten dabei aber immer die Umwelt im Blick. Auch sie essen, wenn sie Fleisch konsumieren, das ganze Tier, um keine Ressourcen zu verschwenden. Diesen Trend bedient u.a. das Unternehmen „Prime Insects“. Als erste biologische Mehlwurmzucht Österreichs verarbeitet es 100 Prozent des Mehlwurms zu einer breiten Produktpalette. Gründer und Geschäftsführer Andreas Koitz erzählt: „Nach meiner Kindheit auf einem Bauernhof war es mir ein Anliegen wieder Landwirt zu werden, jedoch ohne die strukturellen Probleme wie Tierleid, Insektensterben oder Lebensmittelverschwendung, welche viele – meist konventionelle – landwirtschaftliche Betriebe haben und erzeugen.“ Das Unternehmen setzt auf verarbeitete Produkte, z. B. in Form von Proteinriegeln, Leberkäse oder Hackfleisch, um den Konsumenten den Zugang zu Insekten als Lebensmittel zu erleichtern. „Ich bin davon überzeugt, dass sich Insekten etablieren werden, es ist nur eine Frage der Form. Kunden in der Gastronomie waren in der Vergangenheit schon relativ aktiv, durch die – damalige – rechtliche Unsicherheit sind die meisten dann wieder aus dem Projekt ausgeschieden. Das kommt langsam aber doch wieder. Ich denke nicht, dass Insekten als Ganzes eine realistische Chance haben, sich in Europa als Nahrungsmittel durchzusetzen. In verarbeiteter Form ist die Hemmung jedoch sehr gering. Die Praxistauglichkeit wird sich im kommenden Jahr erweisen, wenn wir einige neue Produkte auf den Markt bringen“, berichtet Koitz.
Ricky Saward, Sternekoch im veganen Gourmet-Restaurant Seven Swans

3 Fragen an….

Ricky Saward
Sternekoch im veganen
Gourmet-Restaurant Seven Swans

 

„Den fleischlastigen Endverbraucher wird es in wenigen Jahren nicht mehr geben.“

1. Warum und wann haben Sie sich entschieden vegan zu kochen?

15 Jahre Verarbeitung von tierischen Produkten waren der Auslöser zum Umdenken 2018. Wenn man reflektiert, wie viele Tiere man eigentlich verarbeitet hat in seiner Laufbahn, ist das sehr erschreckend. Vor allem denkt man in jungen Jahren gar nicht darüber nach, was man da eigentlich in den Händen hält und gerade häutet, filetiert, füllt, einlegt, brät oder anrichtet. Der Gedanke war immer derselbe: selten, luxuriös/teuer, protzig und pervers muss es sein. Ich war es satt. Ich war visuell übersättigt. Für mich aus heutiger Sicht war das nur noch Produktplacing ohne Fokus auf das eigentliche Handwerk. Dabei war doch das Handwerk der ausschlaggebende Grund, warum ich Koch werden wollte. Aus unscheinbaren Rohmaterialien etwas Großartiges erschaffen durch Skills und Techniken.

2. Was ist das Besondere an der Küche des Seven Swans?

Wir brechen quasi alle Regeln der Sternegastronomie. Unsere Gäste sitzen relativ unbequem an einem kleinen Holztisch und essen von selbstmodellierten Tellern. Wir servieren und erklären die Gänge. Es ist laut und die Gäste haben Spaß. Wir scherzen rum und trinken mal ein Glas mit. In der Küche konzentrieren wir uns immer auf ein saisonales, regionales Gemüse. Die Natur gibt uns vor, was wir anbieten. An erster Stelle steht immer die Nachhaltigkeit. Wir nehmen das Gemüse auf jegliche Art und Weise auseinander, bearbeiten die einzelnen Teile des Gemüses mit verschiedensten Techniken, um Geschmack und Konsistenzen auf ein Level zu bekommen, welches unsere Gäste nicht erwarten. Manchmal bespielen wir das Gemüse noch mit 1-2 Nuancen von Kräutern oder anderem Gemüse. Den Geschmack, den wir generieren, erzielen wir ohne Gewürze, da wir den natürlichen Geschmack nicht verändern möchten.

3. Was halten Sie von pflanzlichen Ersatzprodukten? Wie erklären Sie sich, dass diese im Supermarktregal aktuell so beliebt sind?

Ich halte nicht viel von Ersatzprodukten. Ich verstehe den Gedankengang nicht, auf diese Produkte zurückzugreifen, wenn ich mich bewusst für die gesunde, unverarbeitete Gemüsevariante entscheiden kann. Warum muss es ein veganes Schnitzel sein? Als Überbrückung für einen kurzen Zeitraum sehr gerne, aber bitte nicht als Dauerlösung. Anfang des Jahres habe ich mit Arte die Doku „Frei von... – Sind Ersatzlebensmittel die bessere Alternative?“ gedreht. Da ging es um Ersatzprodukte und ihre Inhaltsstoffe wie z. B. Carrageen.

Wir erleben gerade eine Entwicklung. Die Reduzierung oder teilweise auch Verzicht auf diverse tierische Produkte ist unvermeidlich. Wir befinden uns gerade in einem Generationenwechsel. Den fleischlastigen Endverbraucher wird es in wenigen Jahren nicht mehr geben. Man muss sich so langsam mit der Generation Anfang 20 bis Mitte 30 auseinandersetzen und den Markt anpassen. Sonst wird der Einzelhandel sehr bald auch Probleme bekommen. Ich glaube, Ersatzprodukte werden ihren Reiz und ihren Ruf verlieren. Es wird wieder interessanter werden, sich in die Küche zu stellen und kreativ zu kochen.

Quellen:

[1] Forsa (2023): Pflanzenbetonte Ernährung. Ergebnisse einer repräsentativen Bevölkerungsbefragung. www.bvlh.net/fileadmin/redaktion/downloads/pdf/2023/forsa-Umfrage_Pflanzenbetonte_Ern%C3%A4hrung.pdf

[2]   Rützler, H. (2023). Food Report 2024.

[3] Le Guide MICHELIN (2023, 2. April). Was ist der Grüne MICHELIN Stern? https://guide.michelin.com/de/de/article/sustainable-gastronomy/was-ist-der-grune-michelin-stern

Autor

Anna Frede

Anna Frede

Junior PR-Beraterin | modem conclusa gmbh